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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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der Newa, nur von einer Zofe begleitet, fern von den hohlen Wänden, den durchsichtigen »venezianischen« Spiegeln, den versteckten Gucklöchern und Lauscheinrichtungen des Palasts. Die ersten Schneeglöckchen, Katharinas Lieblingsblumen, kamen schon durch den Schnee hervor, und sie suchte mit Feuereifer nach ihnen.
    Ich wartete auf eine günstige Gelegenheit. Als die Zofe stehen blieb, weil sich ihr Rock in den Dornen eines Strauchs verhängt hatte, sprach ich die Großfürstin an: »Bitte, hören Sie zu, ich habe nicht viel Zeit. Es ist besser, wenn uns niemand zusammen sieht.«
    Sie sah mich amüsiert an. »Aber warum, Warenka?«
    »Etwas Schreckliches ist passiert. Ich bin gekommen, um Sie zu warnen.«
    Das Lächeln auf ihren Lippen erstarb.
    Die Zofe hatte ihren Rock befreit und kam eilig auf uns zu. Ich legte den Finger auf die Lippen.
    Katharina fragte die Zofe, ob sie ihr Taschentuch gesehen habe. »Ich muss es auf dem Weg verloren haben«, sagte sie. »Es ist rot – Maman hat es mir geschenkt.«
    Es war kein sehr origineller Vorwand, aber der Zofe blieb nichts anderes übrig als zurückzugehen und nach dem Taschentuch zu suchen.
    Ich kam sofort zur Sache: »Ihre Mutter hat Briefe an den König von Preußen geschrieben, die die Kaiserin ihr nie verzeihen wird.«
    In Katharinas Augen stand blanker Schrecken.
    »Woher weißt du das?«
    »Ich war dabei, als der Kanzler sie der Kaiserin zeigte. Ein Kurier ist an der Grenze abgefangen worden.«
    Katharina biss sich auf die Lippen.
    »Sie tobt vor Zorn. Sie wird Sie und Ihre Mutter heute Nacht zu sich rufen lassen. Der Kanzler ist sicher, dass die Kaiserin Sie aus dem Land jagen wird.«
    Katharina schaute sich verstohlen um. Die Zofe war noch weit weg.
    »Ich möchte nicht zurück nach Deutschland, Warenka.« Ihre Hand umklammerte meinen Arm und ließ dann wieder los. »Nicht so, in Schimpf und Schande.«
    »Die Kaiserin will auch nicht, dass Sie gehen. Aber Sie müssen ihr klarmachen, dass Sie nicht so sind wie Ihre Mutter.«
    Ich konnte ihr nicht die ganze Wahrheit sagen. Ich konnte ihr nicht gestehen, dass ich für den Kanzler spionierte. Alles, was ich tun konnte, war, ihr einen möglichen Ausweg, einen schmalen Pfad weg vom Abgrund, zu zeigen und zu beten, dass es gutging.
    »Fallen Sie vor ihr auf die Knie, Katharina. Küssen Sie ihr die Füße. Weinen Sie. Sagen Sie der Kaiserin, dass Sie keine andere Mutter haben als sie. Das ist es, was sie hören will. Wenn Sie es nicht tun …«
    Sie zuckte zusammen.
    »Das Glück ist nicht so blind, wie die Leute glauben, aber Sie müssen wissen, was Sie wollen.« Meine Stimme klang fest und entschieden, gerade so, als hätte ich ihr nicht eben geraten, sich von der Frau, die sie zur Welt gebracht hatte, für immer loszusagen.
    Die Zofe hatte es aufgegeben, das Taschentuch zu suchen, und kam zurück. Ich verneigte mich.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte ich.
    »Danke, Warenka, das werde ich dir nie vergessen. Ich werde es dir vergelten, das verspreche ich dir.« Sie drehte sich zu der Zofe um. »Hast du das Taschentuch nicht gefunden?«, rief sie. »Das ist nicht so schlimm. Vielleicht hatte ich es gar nicht dabei – ich bin ja so zerstreut.«
     
    Am Abend saß ich im Vorzimmer herum und wartete, dass ich gerufen wurde, aber die Kaiserin war nicht in der Stimmung, sich den neuesten Klatsch erzählen zu lassen. Aus dem Schlafzimmer drang die Stimme des Kanzlers, dann hörte ich jemanden nervös lachen, aber ich wusste nicht, wer es war.
    Die Glocke läutete, ein junger, schlanker Lakai, den ich vorher noch nie gesehen hatte, ging hinein. »Schaff die beiden her«, hörte ich die Kaiserin schreien, »sofort.«
    Es dauerte nicht lange. Schritte näherten sich, Absätze klapperten auf den hölzernen Treppenstufen. Ein Aufschrei, ein Stolpern. Wieder ein Schrei, jetzt ganz nahe.
    Ich schlüpfte mit wild klopfendem Herzen hinter einen Vorhang. Johanna und Katharina hasteten herein, angetrieben von zwei Soldaten der Palastwache. Offensichtlich hatte man sie aus dem Bett gerissen und gezwungen, sich in aller Eile anzuziehen; Knöpfe und Schnallen ihrer Kleidung standen offen, sie waren zerzaust und verängstigt, genau so, wie Elisabeth sie haben wollte.
    Prinzessin Johanna ruderte heftig mit den Armen, sie erinnerte an einen Vogel, den man vom Himmel geschossen hat, aber ich streifte sie nur mit einem flüchtigen Blick. Meine Aufmerksamkeit galt Katharina. Ihr Gesicht war erhitzt vom Laufen, ihre Augen waren rot

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