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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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»Wie können wir etwas unternehmen, wenn wir diese Gewissheit nicht haben?« Sie wunderte sich selbst ein wenig über den zögerlichen Ton, der sich bei diesem Einwand eingeschlichen hatte. Sie versuchte, aggressiv, entschlossen zu sein. Es fiel ihr schwer. Es kam ihr so vor, als hätte sie einen Witz gemacht, der beim Publikum nicht zündete, und statt dass die Leute darüber lachten, verspotteten sie Karen.
    Jordan zuckte die Achseln. »Und? Wir sind doch kein Gericht. Wir haben auch nicht vor, mit einer irren Geschichte über anonyme Briefe und einen Wolf, der uns die ganze Zeit hinterherschleicht, zur Polizei zu gehen, damit die uns für vollkommen übergeschnappt halten.«
    Jordans Worte überschlugen sich. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren, dachten die anderen beiden Roten.
    »Es geht doch entscheidend darum, ihm ein Stück voraus zu sein, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Und da fällt mir nur eins ein, was wir tun können.«
    Karen wusste, was Jordan sagen wollte. Doch sie ließ sie ausreden.
    »Wir schlagen ihn mit seinen eigenen Waffen.«
    »Und wie?«, fragte Sarah, obwohl sie die Antwort kannte. Sie machte ihr einfach nur Angst.
    Auch Karen war klar, worauf die Sache hinauslief. Sie lehnte sich zurück und spürte, wie sich ihre Muskeln vom Kopf bis in die Zehenspitzen verspannten. Das letzte bisschen Vernunft zwang sie, etwas zu sagen.
    »Wir können nicht da auftauchen und ihn töten. Einfach so. Indem wir uns an seiner Haustür postieren, bis er rauskommt, um die Morgenzeitung reinzuholen. Wir knallen ihn ab und versuchen zu verschwinden? Oder vielleicht in Mafiamanier aus einem vorbeifahrenden Auto? Das passt nicht zu uns.Wir kämen alle hinter Gitter, weil das keine Notwehr ist, sondern Mord, und soweit mir bekannt ist, sind wir alle drei keine Meisterganoven.« Ihr Sarkasmus klang um einiges schwächer als Jordans Teenagerversion.
    »Wie kriegen wir es hin, dass es Notwehr ist?«, fragte Sarah. »Ich meine, wie stellen wir ihm eine Falle? Warten wir, bis er versucht, uns umzubringen? Nur dass er vielleicht längst dabei ist.«
    »Keine Ahnung«, antwortete Karen. »Keiner von uns hat in so etwas Erfahrung.«
    »Bist du dir da sicher?« Sarah versuchte gar nicht erst, die Frustration in ihren Worten zu überspielen. »Wir haben meinen Tod vorgetäuscht. Wir haben doch alle zu irgendeinem Zeitpunkt in unserem Leben manipuliert, intrigiert, was weiß ich. Das tut jeder. Jeder lügt. Jeder schummelt. Jedes Kind lernt das. Wir müssen etwas machen, inszenieren, mit dem der Wolf im Traum nicht rechnet. Wieso sollte uns das nicht gelingen?«
    »Was verstehst du unter
etwas …
«, fing Karen an, doch Sarah unterbrach sie.
    »Etwas, das für ihn völlig unerwartet kommt.«
    »Und was …«
    »Habt ihr nicht auch das Gefühl, dass alles, was er tut, selbstverständlich voraussetzt, dass wir uns wie nette, normale, vernünftige und freundliche Menschen benehmen? Hören wir einfach auf zu tun, was zu uns passt, was uns entspricht. Oder dem, was wir mal waren.«
    Die drei Roten schwiegen eine ganze Weile.
    »Ich will ihn umbringen«, sagte Jordan gedehnt in die tödliche Stille hinein. »Ich will, dass es endgültig vorbei ist. Und mir ist alles egal, Hauptsache, wir handeln, und zwar schnell. Und Gefängnis ist immer noch besser als das Grab.«
    »Bist du dir da sicher?«, fragte Karen.
    Jordan schwieg. Gute Frage, dachte sie und beantwortete sie im nächsten Moment mit der klassischen Reaktion Jugendlicher auf alle großen Zweifel:
Ach, scheiß drauf.
    »Aber wie?«, fragte Sarah eindringlich. »Was sollen wir tun?«
    Sie konnte nicht fassen, dass sie tatsächlich einem Mord zustimmte. Sie war sich nicht einmal ganz sicher, dass von Mord die Rede war, nur dass es ganz danach klang. Es kam ihr so vor, als verflüchtige sich in der dunklen Hexenküche des Chemielabors jeder rationale Gedanke.
    Karen wollte etwas sagen, hielt aber plötzlich inne.
    Steckt eine Mörderin in dir?, fragte sie sich.
    Sie kannte die Antwort nicht, sie wusste nur, dass sie es sehr bald herausfinden würde.
    Jordan nickte. Sie tippte einige Zahlen in die Suchmaschine auf dem Laptop ein.
    Ein Google-Earth-Bild von einem bescheidenen, unauffälligen Vorstadthäuschen in einem durchschnittlichen Viertel erschien auf dem Bildschirm. Jordan klickte Street View an, und schon liefen sie die Straße auf und ab, in der die Sekretärin mit ihrem Schriftsteller wohnte. Sie ähnelte Sarahs ehemaligem Wohnviertel: ordentliche,

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