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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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und Rote Zwei.
    Sie hob die Videokamera ans Auge, ohne zu filmen. Sie hatte genug gesehen.
    Obwohl es kalt war, erfasste Jordan eine heiße Woge. Hier hat der Kampf begonnen, führte sie sich noch einmal vor Augen. Kein Grund zur Panik. Genau hier hat er gestanden. Was kannst du daraus noch schließen?
    Eines hatte sie schon vorher gewusst, und sie sprach es aus: »Er hat uns alle schon seit Monaten im Visier.«
    Das Video, daran bestand kein Zweifel, war die Ausbeute vieler Stunden. Es war kein spontaner Einfall.
    Die Vorstellung erschien ihr vollkommen unfair. Es war wie eine nicht angekündigte Klassenarbeit zu einem Stoff, den sie nicht gelernt hatte. Nur dass es hier, wenn sie scheiterte, um einiges mehr ging als eine miese Note.
    Sie streckte die Hand aus und strich mit dem Finger über den rauhen Backstein des Physik- und Chemiegebäudes, als hätte der alte Stein ihr etwas zu erzählen, als könne die Berührung ihr Antworten geben, die ihr bis jetzt entgangen waren. Hin- und hergerissen zwischen dem Fluchtinstinkt und dem Bedürfnis zu bleiben und sich hier bei den Mülleimern genauer umzusehen, weil sie auf etwas stoßen könnte, das ihr weiterhalf, wirbelte sie herum. Einen Moment lang starrte sie auf die graue Betonwand hinter den Abfalltonnen und überflog die verblassten Graffiti mit ihren Rechtschreibfehlern.
     
    Kathy blest gut. Ruf sie an unter 555 - 1729 .
    Scheis auf Jahrgang 2009 . Alles Aschlöcher.
    Ich liebe S. In alle Ewigkeit.
     
    Sie wollte sich gerade umdrehen, als ihr Blick auf die Zeichnung eines kleinen Herzens fiel. Darin waren Buchstaben zu erkennen:
    RD & BW
    Jordan starrte auf die Zeichnung, als müsste der Sinn der Kritzelei unter dem Brennglas ihrer Konzentration wie Rauch aufsteigen.
    RD , dachte sie, das kann doch nicht etwa Rote Drei sein.
    BW
steht unmöglich für Böser Wolf.
    Sie schüttelte den Kopf. Nein. Sie kramte in ihrem Gedächtnis. Gab es in diesem Jungenwohnheim nicht einen Robbie Downsend? War der letztes Jahr nicht in Betty Williams verknallt?
    Das muss es sein.
    Doch sie wusste, dass sie sich mit dieser harmlosen Erklärung etwas vorzumachen versuchte. Sie fröstelte, drehte sich um und machte sich zügig auf den Weg zu ihrem Wohnheim. Mit einem Schlag schien sie den Wolf im Nacken zu spüren, als verstecke er sich hinter irgendeinem Mauervorsprung, um sie wieder zu filmen, als sei er in dem Moment aus dem Nichts aufgetaucht, als sie ihm den Rücken kehrte. So absurd die Vorstellung auch war, sie fühlte sich ihr machtlos ausgeliefert. Die Woge der Panik, die über sie hinwegspülte, brachte sie fast dazu loszurennen. Stattdessen zwang Jordan sich zu langsamen, gleichmäßigen Schritten. Immer einen Fuß vor den anderen, hämmerte sie sich ein. Wie ein Soldat hätte sie am liebsten ein grobschlächtiges Marschlied angestimmt. Doch es reichte gerade mal für ein Flüstern. »Eskimos, wie man hört, haben Schwänze, dass man friert. Links, rechts, links, rechts …« Sie hoffte, dass ihr Gang so selbstbewusst war wie die Worte, die ihr über die Lippen kamen.
     
    Benimm dich ganz normal.
    Sarah Locksley musste beinahe lachen, als sie sich klarmachte, dass sie sich zu diesem Zweck ein paar Pillen einschmeißen und mit Wodka herunterspülen müsste. Das wäre in den letzten Monaten für mich normal gewesen.
    Stattdessen hatte sie den größten Teil des Tages damit zugebracht, wild entschlossen ihr Haus auf Vordermann zu bringen. Sie sammelte die Abfälle ein und entsorgte leere Schnapsflaschen in Glascontainern. Die Waschmaschine lief stundenlang fast ununterbrochen, und jede fertige Ladung wurde sorgfältig gefaltet und in Schubladen verstaut. Sie schrubbte jede Arbeitsplatte in der Küche und stellte die Selbstreinigungsvorrichtung im Herd an. Der Kühlschrank war ein hartes Stück Arbeit, doch am Ende war jeder Milchfleck weggeschabt. Verdorbene Lebensmittel kamen in einem gesonderten Müllbeutel vor das Haus. Die Badezimmer nahm sie mit Bürste, Allzweckreiniger und militärischer Präzision in Angriff und machte dabei so lange den Rücken krumm, bis er sich mit heftigen Schmerzen beschwerte, doch Porzellan und Edelstahl erstrahlten in altem Glanz. Und in einem Impuls, der in ihren eigenen Augen an Idiotie nicht zu überbieten war, ging sie mit zwei Plastiksäcken von Fenster zu Fenster, Tür zu Tür und räumte ihr Kevin-allein-zu-Haus-Bollwerk ab. Die Scherben und Splitter unter jedem Zugang klirrten und knirschten bei ihrer Entsorgung mit Schaufel und

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