Der Wolf aus den Highlands
Bücher und trat vom Tisch weg. In dem Moment ging die Tür auf. James dachte fieberhaft über einen guten Grund nach, warum er sich in MacKays Arbeitszimmer herumtrieb. Doch als er sah, wer sich hier rückwärts in den Raum schlich, ging ihm der Mund sperrangelweit auf: Es war Annora. Während sie noch einmal sorgfältig ihre Blicke über den Gang schweifen ließ, bevor sie die Tür schloss, schlich James sich hinter sie.
Als Annora behutsam die Tür zuzog, schlug ihr das Herz bis zum Hals, doch dann seufzte sie erleichtert auf. Der erste Schritt auf der Suche nach der Wahrheit war getan. Sie hatte es geschafft, unbemerkt in Donnells Arbeitszimmer zu gelangen. Jetzt musste sie sich nur noch gründlich umsehen, ohne sich dabei erwischen zu lassen. Annora schnitt eine Grimasse. Sie fragte sich, ob sie die Neugier nicht in Schwierigkeiten gebracht hatte, aus denen sie nicht mehr herauskommen würde.
Schließlich straffte sie die Schultern, entschlossen, einige Antworten auf ihre Fragen zu finden. Doch als sie sich umdrehte, um zum Tisch zu gehen, starrte sie auf eine breite Brust. Ihre Nase berührte sogar das grobe Leinenhemd, das diese breite Brust bedeckte. Der einzige klare Gedanke, den sie fassen konnte, sagte ihr, dass es sich nicht um Donnell oder Egan handelte, und einer der Chisholms konnte es auch nicht sein; wäre ihre Nase einem von ihnen so nahe gerückt, hätten ihre Augen von dem Gestank dieser Männer zu tränen begonnen. Langsam hob sie den Kopf – und starrte in ein wunderschönes grünes Auge. Fast war sie ein wenig bestürzt, dass sie sich eigentlich nicht weiter wunderte. Sie hatte seinen Geruch erkannt und das Gefühl kaum gezügelter Wut, gepaart mit Kummer und Enttäuschung.
»Was habt Ihr hier zu suchen, Master Lavengeance?«, fragte sie, denn in diesem Fall dachte sie, dass es besser wäre, zum Angriff überzugehen, statt eine Entschuldigung zu stammeln oder wegzulaufen.
Da er mittlerweile wusste, dass Annora fließend Französisch sprach, sah James keinen Grund, sich Mühe zu geben, einen Franzosen zu mimen, der schlecht Englisch sprach. »Ich denke, ich sollte Euch eher fragen, was Ihr hier zu suchen habt«, erwiderte er auf Französisch.
»Ich habe als Erste gefragt.«
»Ah, aber ich glaube, Eure Antwort wird viel interessanter ausfallen als meine.«
Annora kam es ein bisschen seltsam vor, Englisch zu reden, während er Französisch sprach, doch sie hatte gleich erraten, dass Master Lavengeance nahezu alles verstand, was auf Englisch gesagt wurde. Sie kannte mehrere gälischsprechende Leute, die Englisch verstanden, aber es nicht sprechen konnten. Aber vielleicht weigerten sie sich auch nur, die Sprache ihrer ältesten Feinde zu sprechen. Doch diesen Nebengedanken verfolgte sie jetzt nicht weiter. Stattdessen sah sie den Holzschnitzer stirnrunzelnd an.
»Ich muss ein paar Briefe schreiben«, sagte sie.
»Ihr könnt schreiben?«, fragte James, wissend, dass er seine Überraschung nur schlecht verbarg.
Die Murray-Frauen bekamen zwar alle eine recht gute Erziehung, dennoch war es ungewöhnlich, dass Frauen etwas anderes beigebracht wurde, als sich um ihr Heim, ihren Mann und ihre Kinder zu kümmern.
»Natürlich kann ich schreiben. Und lesen.«
»Seid doch nicht gleich beleidigt. Viele Frauen können weder das eine noch das andere, und vielen Männern ist das auch ganz recht so. Ja, viele achten sogar darauf, dass die Frauen in ihrem Haushalt nur mit Mühe ihren Namen schreiben können, wenn überhaupt.«
Annora trat endlich einen Schritt zurück. Sie fragte sich, warum sie so lange dazu gebraucht hatte, sich zu entfernen. »Na ja, ich lebte in den Häusern mehrerer Frauen, die der Meinung waren, eine Frau sollte so viel lernen, wie sie kann. Sie beendeten das Werk, das meine Mutter begonnen hatte. Nicht, dass Euch das etwas anginge. Aber jetzt werde ich Euch wohl dem überlassen, wozu Ihr hier hereingeschlichen seid.«
Sie wollte sich zur Tür drehen, doch er packte sie an den Oberarmen. Seine langen, starken Finger umschlossen ihre Arme fast gänzlich. Annora hatte drei Jahre lang gelernt, wie sie die schlimmsten Auswüchse von Donnells Zorn vermeiden konnte, und deshalb wehrte sie sich nicht. Aber als Master Lavengeance sie gegen die Tür drückte, allerdings, ohne ihr wehzutun, fragte sie sich, ob sie sich nicht doch lieber wehren sollte.
»Habt Ihr vor, zu Eurem Herrn zu eilen und ihm zu sagen, dass ich mich in diesem Raum aufgehalten habe?«, fragte er.
Den Griff um ihre
Weitere Kostenlose Bücher