Der Wolf aus den Highlands
Egan?«
»Ich kann dir auch nicht sagen, wie gut oder schlecht Egan ist.« Annora schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass sie es auch nie würde herausfinden müssen.
»Pah, das süße Unschuldslamm! Na, ich weiß genau, was in Eurem Kopf vorgeht. Ihr denkt, dass ich eine Hure bin, und Ihr rümpft Eure feine Nase, stimmt’s? Dabei seid Ihr nur ein Bastard, der von Haus zu Haus herumgereicht wird und Arbeit verrichtet, die um keinen Deut besser ist als meine. Wie kommt Ihr eigentlich darauf, dass Ihr um so vieles besser seid als ich?«
Ich bade gelegentlich, dachte Annora. Und wieder fragte sie sich, warum sie eigentlich so unfreundliche Gedanken dieser Frau gegenüber hegte. Das sah ihr doch gar nicht ähnlich. Bestenfalls dachte sie nur wenig, wenn jemand sie reizte wie jetzt Mab. Wenn sie an etwas dachte, dann daran, sich solch einem Gespräch möglichst rasch zu entziehen
Oh weh, wahrscheinlich war es die Eifersucht. Zögernd musste sich Annora eingestehen, dass sie allein schon den Gedanken verabscheute, Master Lavengeance und Mab könnten etwas tun, was über Händeschütteln hinausging. Und nicht einmal die Vorstellung, dass sich die beiden die Hände gaben, wollte ihr recht gefallen, denn schließlich würde er diese Frau dabei berühren. Doch solche Gefühle mussten eine Art Wahn sein. Zugegeben, sie fand den Mann sehr attraktiv, und noch immer wurde ihr heiß, wenn sie daran dachte, wie er sie geküsst hatte – was für ihren Seelenfrieden leider viel zu oft vorkam. Doch das war keine Entschuldigung für den wachsenden Wunsch, Mab eine Ohrfeige zu verpassen oder auf Master Lavengeance Besitzansprüche geltend zu machen. Was immer zwischen ihr und dem Holzschnitzer wuchs, es hatte keine Zukunft, und es konnte ihnen sogar eine Menge Ärger seitens Donnell und Egan einbringen – gefährlichen Ärger.
»Dieses Gespräch ist albern«, sagte sie und schob Mab zur Seite, um den Weg zu ihrem Schlafraum fortzusetzen. »Ich kümmere mich auf Dunncraig einzig und allein um Meggie, sonst tue ich hier nichts, das weißt du ganz genau.«
Mabs abfälliges Schnauben hallte durch den Korridor und verfolgte Annora, die das Gefühl beschlich, ihr Weggehen könne allzu stark nach Rückzug aussehen. Sie schimpfte halblaut, dann seufzte sie erleichtert auf, als sie hörte, wie Mab davoneilte. Welche Richtung die Frau eingeschlagen hatte, wollte sie gar nicht wissen. Mab gehörte zu den Frauen, die sich auf jeden Mann in ihrer Reichweite stürzten. Selbst wenn sie Master Lavengeance nie berührt hatte, hätte Annora sie vermutlich nicht in ihr Herz geschlossen. Niemand mag gierige Menschen, dachte Annora, und es war ihr egal, dass das selbst in ihren eigenen Ohren ein wenig kindisch klang.
Als sie an einer kleinen Nische in der Nähe der Treppe, die zu einem der Turmzimmer führte, vorbeiging, wurde Annora am Arm gepackt und tief in die Schatten gezogen. Ein warmer, weicher Mund dämpfte ihren instinktiven Schrei. Einen Moment lang erfüllte sie der Schrecken, dass Egan ihr aufgelauert haben könnte, doch dann erkannte sie den Geschmack des Mannes, der sie küsste. Sie wusste, dass sie sich gegen Rolf wehren sollte und es sie hätte beunruhigen sollen, wie rasch sie den Mann erkannte hatte, der sie nun fest an sich zog; doch sie schlang nur die Arme um seinen Hals und gab sich dem Kuss hin.
In dem Augenblick, wo der Kuss endete, kämpfte sie um einen klaren Kopf, doch gleich darauf verlor sie ihn wieder, denn nun begann Rolf, ihren Hals mit Küssen zu bedecken, drückte sie ungestüm an seinen starken Körper und gegen die Wand. Flüchtig musste sie daran denken, dass Leute, um Liebe zu machen, vielleicht gar nicht in die Bauchlage gehen mussten.
Als Rolf an ihrem Ohr knabberte und es mit seiner Zunge neckte, erbebte Annora. Ihr war, als ströme reines Feuer durch ihren Körper. Ein Anflug von Angst mischte sich in die Leidenschaft, die das Steuer übernommen hatte. Einer solch starken, solch überwältigenden Empfindung wollte und konnte sie nicht vertrauen.
James spürte, wie sich ihr weicher Körper, den er so heiß begehrte, ein wenig verspannte. Rasch küsste er Annora wieder, um den Widerstand zu vertreiben, den sie offenbar gerade aufbaute. Es war zwar der reine Wahnsinn, sie so zu packen, aber sein Verlangen fühlte sich tatsächlich wie ein Wahn an. Einer Bestrafung dafür, Egan geschlagen zu haben, war er zwar entgangen, doch er glaubte, hauptsächlich deswegen, weil MacKay Egan eins auswischen wollte. Ob
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