Der Wolf der Wall Street: Die Geschichte einer Wall-Street-Ikone (German Edition)
eines klingelnden Telefons, und das musste ganz schön grausam sein - wenn man bedenkt, dass er in einem Büro mit 1.000 Telefonen auf einem Haufen arbeitete, auf ein paar mehr oder weniger kommt es ja nicht an. Und die klingelten ununterbrochen, von dem Moment an, als Mad Max um Punkt 9:00 Uhr das Büro betrat (er kam natürlich nie zu spät), bis zu dem Moment, in dem er ging; und das war dann, wenn er verflucht noch mal verdammt gute Lust dazu hatte.
Da ist es wohl kaum überraschend, dass es in der 3-Zimmer-Wohnung in Queens, in der ich aufgewachsen bin, manchmal ganz schön wild zuging, vor allem, wenn das Telefon klingelte und vor allem, wenn es für ihn war. Aber er hob nie selbst ab, selbst wenn er eigentlich wollte, denn meine Mutter - die heilige Leah - verwandelte sich in eine Weltklasse-Läuferin, sobald es zu klingeln begann; sie sprang wie eine Verrückte zum Telefon hin, weil sie wusste, dass jedes Klingeln, das sie verhinderte, die nachfolgende Beruhigung erleichtern würde. Und dann gab es die traurigen Fälle, in denen meine Mutter gezwungen war, diese schrecklichen Worte auszusprechen: „Max, es ist für dich." Dann stand mein Vater langsam aus dem Wohnzimmersessel auf - er hatte außer weißen Boxershorts nichts an - und stapfte in die Küche, während er vor sich hin murmelte: „Dieses vollverfickte schwanzlutschende Scheißmiststücktelefon. Wer zur Scheißhölle hat die gottverdammt verschissene Frechheit, an einem miststückverfickten Sonntagscheißnachmittag in diesem bekackten Haus anzurufen ..."
Aber wenn er endlich am Telefon ankam, passierte das Allerseltsamste: Auf magische Weise verwandelte er sich in sein Alter Ego, Sir Max, einen kultivierten Gentleman mit perfekten Manieren und einem Akzent, der nach britischem Adel klang. Wenn ich daran dachte, dass mein Vater in den schmutzigen Straßen der South Bronx aufgewachsen und nie in England gewesen war, fand ich das ziemlich schräg. Nichtsdestotrotz sprach Sir Max ins Telefon: „Hallo? Was kann ich für Sie tun?" Dabei spitzte er die Lippen und spannte die Wangen leicht an, und das brachte wirklich diesen aristokratischen Akzent aus ihm heraus. „Oh, okay dann; ja, das ist prima! Alles klar dann!" Damit legte Sir Max das Telefon auf und wurde wieder zu Mad Max. „Dieser beschissene schwanzlutschende Miststückfreund hat die beschissenverfluchte Frechheit, in diesem bekackten Haus verfickt noch mal anzurufen ..."
Aber trotz all dieses Irrsinns war Mad Max der lächelnde Trainer all meiner Jugendmannschaften und Mad Max war der erste Vater, der am Sonntagmorgen aufstand und hinunterging, um mit seinen Kindern Ball zu spielen. Er war der, der mein Fahrrad am Sattel festhielt, mich auf dem Betongehsteig vor dem Mietshaus anschob und mir hinterherrannte, und er war der, der sich nachts zu mir ins Bett legte und mir über den Kopf strich, wenn ich nächtliche Angstanfälle hatte. Er war der, der nie eine Theateraufführung in der Schule verpasste - oder einen Elternabend oder ein Konzert oder irgendwas, wo er sich an seinen Kindern erfreuen und uns zeigen konnte, dass wir geliebt wurden.
Mein Vater war ein komplizierter Mensch; ein Mann mit großen geistigen Fähigkeiten, den es zum Erfolg drängte, aber den seine emotionalen Beschränkungen zur Mittelmäßigkeit erniedrigten. Denn wie sollte ein solcher Mann in der Unternehmenswelt funktionieren können? Würde solches Verhalten toleriert werden? Wie viele Stellen hatte er deswegen schon verloren? Wie viele Beförderungen gingen an ihm vorbei? Und wie viele Chancen hatten sich wegen des Charakters von Mad Max verschlossen? Doch bei Stratton Oakmont wurde das alles anders, denn dort konnte Mad Max seinem rasenden Zorn völlig ungestraft freien Lauf lassen. Gab es denn für einen Strattoniten eine bessere Möglichkeit, seine Loyalität zu beweisen, als sich von Mad Max ausschelten zu lassen und es zum eigenen Vorteil hinzunehmen, will sagen: damit er das „Leben" leben konnte? Deshalb galten ein Baseballschläger im Autofenster oder eine öffentliche Standpauke für einen jungen Strattoniten als Initiationsritus, den man wie einen Orden trug.
Es gab also Mad Max und Sir Max und jetzt wollte ich einen Weg finden, Sir Max herzuholen. Mein erster Versuchsballon war die 4-Augen-Methode. Ich schaute Kenny und Danny an und sagte: „Lasst ihr mich bitte ein paar Minuten allein mit meinem Vater sprechen?" Keine Diskussion! Die zwei gingen derart bereitwillig, dass die Tür schon hinter
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