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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Kyelim~689. Wir anderen erhielten unseren Jahresstern, den Assistent Ahn in unsere Halsbänder steckte.
Als der Fahrstuhl zum ersten Mal aufging, stürmte eine Medienmeute mit blitzenden Nikons herein und belagerte Seher Rhees Büro. Er war die ganze Ausgangssperre über in der Papa-Song-Zentrale verhört worden. Rhee wurde sie erst wieder los, als er einer anderen Yoona den ~939-Ausweis ans Halsband heftete und ihnen erlaubte, sie zu sonyn. Ein paar makabre Konsumenten nikonten sich dabei, wie sie Leiche im Fahrstuhl spielten. Gegen Stunde Sechzehn traf ein Trupp Papa-Song-Meds ein. Jede Bedienerin wurde eingehend untersucht. Man befragte uns über die Union, aber bis zur Morgenandacht hatte keine von uns je davon gehört. Ich hatte Angst, die Ausflüge mit Yoona~939 ins Geheimniszimmer könnten mich in Gefahr bringen, aber anscheinend wusste niemand davon. Nur mein Muttermal war Anlass für ein paar beiläufige Bemerkungen.
     
    Ich wusste gar nicht, dass Duplikanten Muttermale haben.
Haben wir auch nicht: Sie werden weggenomiert. Jeder Med, der es sah, äußerte Verblüffung. Ich selbst habe mich jedes Mal geschämt, wenn ich mein Muttermal entblößte. Ma-Leu-Da~108 nannte es ‹Sonmi~451s Makel›. Sie können es zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt sehen, Archivar: hier.
     
    Zeige es bitte dem Orator. Eigenartig. Es ähnelt einem Kometen.
Hae-Joo Im machte dieselbe Beobachtung.
     
    Ich vermute, du hast die Untersuchung bestanden, richtig?
Ja. Bei der Vesper wurden weder die Union noch Yoona~939 erwähnt. Die Dosis der Amneside und des Soporfix in unserer Seife wurde drastisch erhöht. In der zweiten gelben Stunde des neuen Jahres wusste Ma-Leu-Da~108 weder, woher ihr Xtra-Arbeitsstern stammte, noch, dass es sich überhaupt um einen Xtra-Stern handelte. Nur ich erinnerte mich an alles.
     
    Erhielt Seher Rhee seinen Posten zurück?
Ja. Hae-Joo Im recherchierte für mich die Folgen der Schießerei. Rhee überstand Yoonas Abweichung, weil er im Verhör behauptete, er habe schon seit Monaten auf einen medizinischen Bericht über sie gedrängt. Der Papa-Song-Konzern erlebte jedoch Umsatzeinbußen; die Zahl der Gäste im Chongmyo-Plaza-Restaurant sank. Die Reinblüter zitieren gern den Aphorismus, dass ein Blitz nie zweimal am selben Ort einschlägt; dabei verhalten sie sich oft so, als wäre genau das Gegenteil der Fall.
Aber Reinblüter haben auch ein kurzes Gedächtnis; sie vergessen schnell, dass der Blitz überhaupt eingeschlagen ist, besonders wenn es um ihren Magen geht. In Monat Zwei war die durchschnittliche Gästezahl wieder auf das alte Niveau gestiegen. Die Kyelims waren eine neue Attraktion; mit den genomierten Zoeskopaugen und Hasenzähnen zogen sie lange Schlangen von Duplikantenbeobachtern mit Nikons an. Die Ma-Leu-Das waren eifersüchtig.
     
    Bedienerinnen werden so genomiert, dass sie ein schlechtes Gedächtnis haben, und du sagst, eurer Seife wurde eine Xtradosis Amneside hinzugefügt. Warum kannst du dich dann so genau an die Ereignisse im Restaurant erinnern?
Eine einfache Frage, auf die es eine einfache Antwort gibt: Mein eigener Aufstieg hatte begonnen. Ich merkte es, weil ich dieselben Symptome hatte wie Yoona~939. Ich nehme Ihre nächste Frage vorweg, Archivar: Sie möchten, dass ich diese Erfahrung beschreibe.
     
    Bitte.
Erstens begann eine Stimme in mir zu sprechen. Das beunruhigte mich sehr, bis ich merkte, dass nur ich sie hörte: die Stimme der Empfindung. Mein Aufstieg war eine beängstigende Erfahrung, besonders nach dem, was mit Yoona~939 geschehen war. In ganz Nea So Copros wurden Duplikanten auf Anzeichen unbefugter Intelligenz beobachtet; Hunderte wurden jede Woche gemeldet und zur Reorientierung geschickt.
Zweitens entwickelte sich meine Sprache ganz ähnlich wie die von Yoona~939. Wenn ich ‹gut› sagen wollte, kamen Wörter wie vorteilhaft , angenehm oder korrekt aus meinem Mund. Ich lernte, jedes Wort, das ich gebrauchte, zu bearbeiten und zu verändern. Drittens wuchs meine Neugierde auf das Draußen. Ich lauschte heimlich den Sonys der Gäste, Unterhaltungen, AdVs, Wetterberichten, Vorstandsreden.
Viertens fühlte ich mich isoliert: Die anderen Bedienerinnen gingen mir genauso aus dem Weg, wie sie es bei Yoona~939 getan hatten – die eigenen Schwestern wissen immer Bescheid, auch wenn sie sich ihres Wissens nicht bewusst sind. Die Eintönigkeit verlangsamte die Zeit; ich fing an, die Konsumentenwellen, die der Fahrstuhl ausspuckte, mehr und mehr zu hassen.

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