Der Wolkenatlas (German Edition)
Freier. ‹Was kriege ich dafür?› Betty saust los, um Frank zu fragen. ‹Sag ihm, für dreißig besorgst du’s ihm mit der Hand›, antwortet Frank. Betty rennt zurück zu dem Freier …»
Im Hintergrund erblickt Lloyd Hooks Bill Smoke. Smoke hebteinen, zwei, drei Finger, die Finger ballen sich zur Faust, die Faustmacht eine schneidende Geste. Alberto Grimaldi tot, Isaac Sachs tot, Luisa Rey tot. Betrüger, Verräter, Schnüfflerin. Während er Smokemit Blicken signalisiert, dass er verstanden hat, kommt ihm ein erfundenerantiker Mythos in den Sinn. Der geheiligte Hain der Diana wurde von einem kriegerischen Priester bewacht, der mit Reichtümern überhäuft wurde, sein Amt aber durch die Ermordung seines Vorgängers erworben hatte. Immer wenn er schlief, setzte er sein Leben aufs Spiel. Grimaldi, du hast zu lange vor dich hin gedöst.
«Betty rennt also zurück zu ihrem Freier und erklärt ihm, dass es für dreißig nur Handarbeit gibt. ‹Alles klar, Süße›, sagt der Mann, ‹steig ein, ich nehm die Handarbeit. Gibt’s hier in der Nähe ein stilles Plätzchen?› Betty lotst ihn in die nächste Seitenstraße, wo Frank im Auto wartet. Der Mann macht die Hose auf und … holt sein mordsmäßiges Ding heraus. ‹Wart mal eben!›, ächzt Betty. ‹Bin gleich wieder da.› Sie springt aus dem Auto und klopft an Franks Fenster. Frank kurbelt die Scheibe runter. ‹Was ist denn jetzt wieder?›» Hooks nimmt sich Zeit für die Pointe. «Betty sagt ganz aufgeregt: ‹Frank, Frank, kannst du dem Kerl mal siebzig Dollar leihen?›»
Die Männer, die gern im Vorstand säßen, lachen wie die Hyänen. Derjenige, der behauptet hat, dass Geld allein nicht glücklich macht, denkt Hooks genüsslich, war eindeutig nicht reich genug.
43
Hester Van Zandt beobachtet mit dem Fernglas die Taucher beim Einsatz. Ein traurig wirkender Teenager im Poncho schlendert barfuß am Strand entlang und streichelt Hesters Promenadenmischung. «Haben sie das Auto schon gefunden, Hester? Dahinten ist das Wasser ziemlich tief. Darum wird dort so viel geangelt.»
«Schwer zu sagen aus dieser Entfernung.»
«Schon komisch, wenn du in dem Gewässer ertrinkst, das du selber verseucht hast. Der Wachmann ist irgendwie scharf auf mich. Eine Frau saß am Steuer, hat er gesagt, betrunken, so gegen vier Uhr morgens.»
«Die Swannekke-Brücke wird von derselben privaten Sicherheitstruppe bewacht wie die Insel. Seaboard kann alles Mögliche behaupten. Kein Mensch wird ihre Geschichte nachprüfen.»
Der Teenager gähnt. «Was glaubst du, ist sie ist im Auto ertrunken? Oder ist sie noch rausgekommen und später ertrunken?»
«Keine Ahnung.»
«Wenn sie im Suff durchs Geländer gebrettert ist, kann sie’s unmöglich bis zum Ufer geschafft haben.»
«Wer weiß?»
«Echt abartig, so zu sterben.» Das Mädchen gähnt wieder und schlendert weiter. Hester geht zu ihrem Trailer zurück. Milton, der Indianer, sitzt auf der Treppe und trinkt Milch aus der Packung. Er wischt sich den Mund ab und sagt: «Wonder Woman ist aufgewacht.»
Hester geht an ihm vorbei und fragt die Frau auf dem Sofa, wie sie sich fühlt.
«Froh, am Leben zu sein», sagt Luisa Rey. «Außerdem bin ich wieder trocken und hab jede Menge Muffins gegessen. Danke für die geliehenen Sachen.»
«Zum Glück haben wir dieselbe Größe. Die Taucher suchen nach Ihrem Wagen.»
«Nein, nach dem Sixsmith-Bericht. Meine Leiche wäre nur ein willkommenes Extra.»
Milton schließt die Tür ab. «Sie sind also durch die Absperrung gerast, ins Meer gestürzt, haben sich aus dem untergehenden Wagen befreit, sind die dreihundert Meter bis zum Ufer geschwommen und haben sich nichts weiter als ein paar leichte Prellungen zugezogen.»
«Wenn ich an das Schmerzensgeld von meiner Versicherung denke, tut’s höllisch weh.»
Hester setzt sich. «Was haben Sie jetzt vor?»
«Na ja, zuerst brauche ich ein paar Sachen aus meiner Wohnung. Dann ziehe ich vorübergehend zu meiner Mutter nach Ewingsville Hill. Dann … geht’s zurück auf Los. Ohne den Bericht wird sich weder die Polizei noch mein Chefredakteur für die Vorfälle auf Swannekke interessieren.»
«Sind Sie bei Ihrer Mutter auch sicher?»
«Solange Seaboard mich für tot hält, wird Joe Napier nicht nach mir suchen. Wenn sie spitzkriegen, dass ich noch lebe …» Sie zuckt die Achseln; die Ereignisse der letzten sechs Stunden haben sie mit einer gehörigen Portion Fatalismus ausgestattet. «Hundertprozentig sicher vermutlich
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