Der Wolkenatlas (German Edition)
Ruf daheim in England zu ruinieren; hast Du vielleicht etwas gehört? Kümmert mich nicht sonderlich, aber man möchte es halt wissen.) ½ gehofft, J. würde mich hier im Hotel aufspüren – in meinem 2. Brief hatte ich meinen Aufenthaltsort genannt. Würde sogar mit ihr schlafen, wenn sich dadurch ein Weg zu Eva auftäte. Rief mir ins Bewußtsein, daß ich kein Verbrechen begangen hatte – va bene , Du Haarspalter, jedenfalls keines, von dem die Crommelynck-Ayrs wissen –, also spielte J. allem Anschein nach wieder einmal unter dem Taktstock ihres Mannes. Wahrscheinlich wie von Anfang an. Ergo blieb mir nichts weiter übrig, als den van de Veldes einen Besuch abzustatten.
Durchquerte bei Dämmerlicht und Schneeregen meinen geliebten Minnewater Park. Kalt wie am Ural. Ayrs’ Luger hatte mich unbedingt begleiten wollen, und so ruhte mein stählerner Freund tief in der Tasche meiner Schaffelljacke. Vollwangige Prostituierte standen rauchend im Musikpavillon. Geriet nicht eine Sekunde lang in Versuchung – nur die Verzweifelten wagen sich bei diesem Wetter nach draußen. Die Verwüstungen an Ayrs’ Körper haben mich von ihnen kuriert, wahrscheinlich für den Rest meines Lebens. Vor dem Haus der v. d. V.s stand eine lange Reihe Cabriolets, Pferde schnaubten in kalter Luft, zusammengekauerte Kutscher in langen Mänteln rauchten und stampften mit den Füßen, um warm zu bleiben. Vanillegelb erleuchtete Fenster, aufgeregte Debütantinnen, Champagnerflöten, funkelnde Kronleuchter. Hier fand ein großes gesellschaftliches Ereignis statt. Bestens, dachte ich. Tarnung, verstehst du? Ein glückliches Paar stieg vorsichtig die Treppe hinauf, die Tür ging «Sesam öffne dich» auf, eine Gavotte entfloh an die eisige Luft. Folgte den beiden die mit Salz bestreute Treppe hinauf und betätigte so ruhig, wie es mir möglich war, den goldenen Türklopfer.
Der befrackte Zerberus erkannte mich – ein erstaunter Butler bedeutet niemals etwas Gutes. «Je suis désolé, Monsieur, mais votre nom ne figure pas sur la liste des invités.» Fuß schon in der Tür. Gästelisten, ermahnte ich ihn, gelten nicht für alte Freunde der Familie. Der Mann lächelte bedauernd – ich hatte es mit einem Fachmann zu tun. Im selben Augenblick strömte eine Schar Gänseküken in paillettenbesetzten Umhängen die Treppe hinauf, und der Butler war so unklug, sie an mir vorbeizulassen. War schon ½ durch die glanzvolle Diele, als mich die weiß behandschuhte Hand an der Schulter packte.
Verlor, ich muß es zugeben, auf höchst beschämende Weise die Nerven – habe eine entsetzliche Zeit hinter mir, das läßt sich nicht leugnen – und brüllte wie ein tobendes, verzogenes Balg Evas Namen, bis die Tanzmusik abrupt abbrach und die empörten Gäste sich in der Diele und auf der Treppe drängten. Nur der Posaunist spielte weiter. So sind sie, die Posaunisten. Bestürzung tat sich kund und schwärmte in allen großen Sprachen aus. Durch das bedrohliche Stimmengewirr trat Eva, in einem stahlblauen Ballkleid, Kette aus grünen Perlen. Glaube, ich schrie: «Warum gehst du mir aus dem Weg?» oder etwas ähnlich Würdevolles.
E. schwebte nicht durch die Luft auf mich zu, schmolz nicht in meinen Armen dahin, liebkoste mich nicht mit Liebesworten. Der 1. Satz hieß Abscheu: «Was ist nur mit Ihnen geschehen, Frobisher?» In der Diele hing ein Spiegel; sah nach, was sie meinte. Ich hatte mich gehenlassen, aber Du weißt ja, wenn ich komponiere, nehme ich’s mit dem Rasieren nicht so genau.2. Satz, Überraschung: «Madame Dhondt sagte, Sie seien zurück nach England gefahren.» Schlimmer konnte es nicht werden. 3. Satz, Zorn: «Wie können Sie es wagen, hierherzukommen, nach … allem?» Ihre Eltern hätten ihr nichts als Lügen über mich erzählt, versicherte ich ihr. Warum sonst hätten sie die Briefe unterschlagen, die ich ihr geschrieben hatte? Sie erwiderte, sie habe beide Briefe erhalten, sie jedoch «aus Mitleid» zerrissen. War tief erschüttert. Verlangte, tête-à-tête mit ihr zu sprechen. Es gebe so vieles zwischen uns zu klären. Ein oberflächlich gutaussehender Bengel hatte seinen Arm um sie gelegt; er versperrte mir den Weg und sagte etwas in besitzergreifendem Flämisch. Ich erwiderte auf französisch, er befummele das Mädchen, das ich liebe, und fügte hinzu, daß der Krieg die Belgier eigentlich gelehrt haben sollte, wann man sich vor der überlegenen Macht zu ducken hat. Eva faßte ihn am rechten Arm und nahm seine geballte Faust
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