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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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schöne Forelle und Augustowski einen gewaltigen Häsling. Als wir bei Einbruch der Dunkelheit zurückkehrten, war Ayrs auf den Beinen, und der Pole erklärte ihm, er könne von Glück sagen, mich eingestellt zu haben. Ayrs grunzte so etwas wie: «Relativ.» Hinreißendes Kompliment, Ayrs. Mrs.   Willems war alles andere als enchantée über unsere geschuppten Trophäen, aber sie nahm sie aus, briet sie in Salz und Butter, und sie zergingen auf der Zunge. Als Augustowski am nächsten Morgen abreiste, gab er mir seine Visitenkarte. Er unterhält für seine Londonbesuche eine Suite im Langham Court und lud mich für das Festival im nächsten Jahr ein, bei ihm zu wohnen. Kikeriki!
    Château Zedelghem ist nicht das labyrinthische Haus Usher, als das es anfangs erschien. Sicher, der verrammelte Westflügel, der nicht mehr bewohnt wird, damit der Ostflügel instand gehalten und modernisiert werden kann, ist in beklagenswertem Zustand und muß, wie ich befürchte, früher oder später abgerissen werden. Erkundete eines regnerischen Nachmittags die Zimmer. Verheerende Feuchtigkeit, Spinnweben auf abgeplatztem Putz, nacktes Gestein, zersetzt von Mäusedreck, Stuckwappen über den Kaminen, abgewetzt von der Zeit. Außen das gleiche Bild – Mauerwerk muß neu gefugt werden, Dachziegel fehlen, Berge von herabgefallenen Zinnen, der mittelalterliche Sandstein ausgehöhlt vom Regen. Die Crommelyncks haben mit Investitionen im Congo gute Geschäfte gemacht, aber keiner der Brüder hat den Krieg überlebt, und Zedelghems «Untermieter», die Boches, plünderten alles, was nicht niet- und nagelfest war.
    Der Ostflügel ist hingegen ein behaglicher kleiner Kaninchenbau, obgleich der Dachstuhl bei Wind knarrt wie ein Schiff. Es gibt eine launische Zentralheizung und ein primitives Stromnetz, das einem knisternde elektrische Schläge versetzt, wenn man die Lichtschalter berührt. Mrs.   Crommelyncks Vater besaß genügend Weitsicht, seine Tochter in die Geschäfte einzuweihen, und heute verpachtet sie das Land an die Bauern der Umgebung, was, wie ich vermute, gerade genug einbringt, um das Schloß zu halten. Eine Leistung, die in diesen Zeiten nicht zu verachten ist.
    Eva weiterhin das zickige Fräulein, so abscheulich wie meine Schwestern, doch mit einem Verstand, der ihrer Feindseligkeit ebenbürtig ist. Neben ihrer kostbaren Nefertiti heißen ihre Hobbys schmollen und Märtyrerin spielen. Sie vergnügt sich damit, wehrlose Dienstboten zum Weinen zu bringen und dann hereinstolzierend zu verkünden: «Sie flennt schon wieder , Mama, kannst du sie nicht vernünftig anlernen?» Sie hat begriffen, daß ich kein leichtes Ziel bin, und einen Zermürbungskrieg begonnen: «Papa, wie lange wird Mr.   Frobisher bei uns bleiben?», «Papa, bezahlst du Mr.   Frobisher genauso viel wie Hendrick?», «Ich habe nur gefragt, Mama, ich wußte ja nicht, daß Mr.   Frobishers Stellung ein so empfindliches Thema ist.» Sie bringt mich aus der Fassung, das muß ich ihr wohl oder übel lassen, aber sei’s drum. Hatten eine weitere Begegnung – Konfrontation trifft es wohl eher – am vergangenen Samstag. Ich war mit Also sprach Zarathustra, Ayrs’ Bibel, zur Steinbrücke gegangen, die über den Teich auf die Insel mit den Weiden führt. Ein sengend heißer Nachmittag; schwitzte selbst im Schatten wie ein Schwein. Nach zehn Seiten war mir, als läse nicht ich Nietzsche, sondern er mich, also sah ich den Rückenschwimmern und den Molchen zu, während mein Gedankenorchester Fred Delius’ Air and Dance aufführte. Zuckersüß wie ein Florentiner, aber die einschläfernde Flöte ist recht gelungen.
    Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem Graben von so ungeheurer Tiefe, daß der Himmel nur noch ein von grellen Blitzen erleuchteter Streifen war. Eine Horde Wilder patrouillierte das Gebiet auf riesenhaften braunen Ratten, die Angehörige der Arbeiterklasse aufspürten und mit ihren teuflischen Zähnen in Stücke rissen. Versuchte, einen wohlhabenden Eindruck zu machen, und schlenderte, anstatt in Panik wegzulaufen, ruhig weiter, als ich plötzlich Eva begegnete. Ich sagte: «Zum Teufel, was haben Sie hier unten zu suchen?»
    Sie antwortete voller Wut: «Ce lac appartient à ma famille depuis cinq siècles! Vous êtes ici depuis combien de temps exactement? Bien trois semaines! Alors vous voyez, je vais où bon me semble!» Ihre Wut war beinahe körperlich, ein Tritt in das Gesicht Deines ergebenen Briefschreibers. Na schön, ich hatte sie

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