Der Wolkenatlas (German Edition)
Fehler. Er ist zu feige, ein Krieger zu sein, aber nicht feige genug, um sich auf den Rücken zu werfen wie ein braves Hündchen.» Die Worte entgleiten ihm, und er fühlt sich wie Bambi auf dem Eis. Auf dem Tisch steht eine fast leere Weinflasche. Sie sind die letzten Gäste in der Bar. Sachs kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so betrunken, so angespannt und so gelöst zugleich gewesen ist: gelöst, weil eine intelligente junge Frau gern mit ihm zusammen ist, angespannt, weil er im Begriff steht, das eitrige Geschwür aufzustechen, das sein Gewissen quält. Mit Bitterkeit stellt er fest, dass er sich zu Luisa Rey hingezogen fühlt, und er bedauert zutiefst, dass sie sich unter diesen Umständen kennen gelernt haben. Die Frau und die Reporterin verschwimmen immer wieder zu einer Person. «Lassen Sie uns das Thema wechseln», sagt er. «Ihr Auto, Ihr», er imitiert einen Hollywood-SS-Offizier, « Volkswagen . Wie heißt er?»
«Woher wissen Sie, dass mein Käfer einen Namen hat?»
«Alle Käfer-Besitzer geben ihren Autos Namen. Aber erzählen Sie mir bloß nicht, er heißt John, George, Paul oder Ringo.» Mein Gott, Luisa, du bist wunderschön.
«Wehe, Sie lachen.»
«Bestimmt nicht.»
«Doch, garantiert.»
«Ich, Isaac Caspar Sachs, schwöre feierlich, dass ich nicht lachen werde.»
«Mit ‹Caspar› als zweitem Vornamen würde ich Ihnen das auch raten. Er heißt ‹Garcia›.»
Beide schütteln sich stumm, bis sie vor Lachen platzen. Vielleicht mag sie mich auch, vielleicht geht es ihr nicht nur um die Arbeit.
Luisa fängt sich wieder. «Mehr sind Ihre Schwüre nicht wert?»
Sachs macht eine schuldbewusste Geste und wischt sich die Tränen aus den Augen. «Normalerweise sind sie beständiger. Ich weiß auch nicht, was daran so komisch ist, ich meine, Garcia» – er schnaubt – «ist gar kein besonders komischer Name. Ich bin mal mit einer Frau gegangen, deren Auto Rosinante hieß.»
«Ein Exfreund und Berkeley-Beatnik hat ihn so getauft. Nach Jerry Garcia von den Grateful Dead. Er stellte ihn einfach vor meinem Studentenwohnheim ab, nachdem eine Dichtung aus dem Motor geflogen war. Dann ließ er mich für einen Cheerleader sitzen. Billig, aber wahr.»
«Und Sie sind nicht mit der Lötlampe über ihn hergefallen?»
«Garcia konnte nichts dafür, dass sein Exbesitzer eine untreue Samenschleuder war.»
«Der Kerl muss verrückt gewesen sein!», entfährt es Sachs, aber es ist ihm nicht peinlich.
Luisa Rey bedankt sich mit einem freundlichen Nicken. «Jedenfalls passt Garcia zu ihm. Er lässt sich nicht richtig einstellen, verliert ständig Öl, neigt zu plötzlichen Geschwindigkeitsschüben, der Kofferraum lässt sich nicht mehr abschließen und er fällt langsam auseinander, aber er gibt nie den Geist auf.»
Lad sie auf dein Zimmer ein , denkt Sachs. Sei nicht blöd, ihr seid doch keine Kinder mehr.
Sie schauen zu, wie die Brandung im Mondlicht ans Ufer schlägt.
Sag es. «Neulich», seine Stimme ist kaum mehr als ein Raunen, und ihm ist übel, «in Sixsmiths Büro.» Er hat das Gefühl, als würde die Dunkelheit ihre Ohren spitzen. «Sie haben dort etwas gesucht, oder?»
Auch Luisa hält nach Lauschern Ausschau, und sie spricht ganz leise. «Ich habe erfahren, dass Dr. Sixsmith einen ganz bestimmten Bericht verfasst hat.»
«Rufus musste eng mit dem Team zusammenarbeiten, das das Ding entwickelt und gebaut hat. Das heißt mit mir.»
«Dann wissen Sie, zu welchen Schlussfolgerungen er gelangt ist? Über den HYDRA-Reaktor?»
«Jeder von uns weiß das. Jessops, Moses, Keene … alle wissen Bescheid.»
«Über einen schwerwiegenden Konstruktionsfehler?»
Sachs erschaudert. «Ja.» Nichts hat sich geändert, nur alles.
«Wie schlimm wäre ein Unfall?»
«Falls Dr. Sixsmith mit seinen Überlegungen Recht hat, ist ‹schlimm› das falsche Wort.»
«Warum wird Swannekke B nicht abgeschaltet, bis weitere Untersuchungsergebnisse vorliegen?»
«Geld, Macht, die üblichen Verdächtigen.»
«Stimmen Sie Sixsmiths Ergebnissen zu?»
Vorsicht . «Ich stimme ihm zu, dass theoretisch derzeit ein beträchtliches Risiko besteht.»
«Hat man Sie unter Druck gesetzt, damit Sie Ihre Zweifel für sich behalten?»
«Alle wurden unter Druck gesetzt. Und alle fügten sich. Bis auf Sixsmith.»
« Wer , Isaac? Alberto Grimaldi? Geht es bis ganz nach oben?»
Die Schatten der Korallenbäume streichen unruhig über den silbrigen Rasen. «Luisa, was würden Sie mit einer Kopie des Berichts
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