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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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jemand, dass ich fort gewesen bin?«
    »Nein. Ich wollte zuerst versuchen, Euch ohne fremde Hilfe zu finden.« Offensichtlich in der Hoffnung, sich Ärger zu ersparen, was Masahiro nur zu gut verstehen konnte. »Außerdem sind Eure Eltern noch nicht zu Hause.«
    »Dann erzählen wir einfach niemandem, was passiert ist«, sagte Masahiro.
    »In Ordnung«, entgegnete Hayashi und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es bleibt unser Geheimnis. Zieht Euch den Hut bitte tiefer ins Gesicht. Wir müssen versuchen, Euch unerkannt auf das Anwesen Eures Vaters zu schleusen.« Mit drohendem Unterton fügte Hayashi hinzu: »Ich hoffe, Euer kleiner Ausflug hat sich wenigstens gelohnt, denn das nächste Mal kommt Ihr nur über meine Leiche aus dem Palast!«
    Nein, es hat sich nicht gelohnt, dachte Masahiro traurig. Er hatte zwar das Gespräch zwischen Yanagisawa und der alten Frau mitgehört, aber er hatte nicht begriffen, um was es ging.
    Seine Eltern hatten recht.
    Er war zu jung für einen Ermittler.

31.

    Der Tempel, der von Joju dem Geisteraustreiber geleitet wurde, war erst kürzlich errichtet worden und stand auf einem weitläufigen Grundstück im Zōjō-Tempelbezirk. Sano, Marume und Fukida gingen durch das Tor, dessen rote Pfosten von frisch aufgetragenem Lack glänzten. Auf dem Tempelgelände ragte die mit üppigen Schnitzereien verzierte und mit leuchtenden Farben bemalte Pagode aus einem parkähnlichen, von blühenden Sträuchern bewachsenen Gelände empor. Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten strömten in die große Hauptgebetshalle oder kamen wieder heraus.
    Ein Diener führte Sano und die Ermittler zu einer kleineren Gebetshalle, die ein Stück abseits in einem Pinienhain stand. Zwei massige Männer, die aussahen wie berufsmäßige Ringer, als Mönche verkleidet, bewachten die Tür. Sie verbeugten sich knapp vor Sano und den Ermittlern.
    »Wir möchten Joju sprechen«, sagte Fukida.
    »Seine Heiligkeit darf im Moment nicht gestört werden. Er nimmt eine Geisteraustreibung vor.«
    »Nun, dieser Mann ist der ehrenwerte Kammerherr Sano, sagte Marume, »und er stört, wen er will.«
    Die Mönche traten gehorsam zur Seite. Sano und seine Männer zogen die Schuhe aus und betraten eine große, kühle, düstere Halle, in der es durchdringend nach Weihrauch roch. Nur eine einzelne Lampe am gegenüberliegenden Ende der Halle spendete Licht und erhellte die Gestalt eines hochgewachsenen Mannes. Sein leuchtend orangefarbenes Gewand, seine Priesterstola aus Seidenbrokat, seine bloßen Arme und sein kahl rasierter Kopf schimmerten, als wären sie vergoldet. Der Mann schien eher zu schweben, als zu stehen. Sein Gesicht lag im Schatten und war nicht zu erkennen. Wände und Decke waren mit schwarzem Stoff verhängt.
    Sano vermutete, dass es sich bei dem Mann um Joju handelte. Die Handflächen unter dem Kinn aneinandergelegt, die Finger nach oben gerichtet, starrte er schweigend zu Boden. Als Sanos Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah er, dass da noch weitere Personen waren. Eine lag zu Jojus Füßen auf dem Podest, eine andere kniete daneben. Vor dem Podest kauerten weitere schemenhafte Gestalten.
    »Soll ich das Ritual unterbrechen, Sano -san ?«, fragte Marume mit gedämpfter Stimme.
    »Nein.« Sano kniete sich hin. Er wollte wissen, was das Ritual der Geisteraustreibung ihm über Joju sagen konnte. Seine Leute taten es ihm gleich.
    Vorn auf dem Podest wandte Joju sich nun an die Gestalt, die neben ihm kniete. »Wie heißt Ihr?« Seine Stimme war gedämpft, aber so tief und volltönend, dass sie die ganze Halle erfüllte.
    »Mankichi«, antwortete die Gestalt. Die Stimme schien einem Mann zwischen vierzig und fünfzig zu gehören. »Ich bin Geldverleiher.«
    Der Glaube an dämonische Besessenheit griff in ganz Japan immer mehr um sich. Viele Leute führten Krankheiten, Geistesschwäche und seltsame Verhaltensweisen auf das Wirken von Geistern zurück, die den Körper des Betroffenen übernommen hatten. Aus diesem Grunde blühte das Geschäft der Geisteraustreiber. Vor allem Joju war so gefragt, dass er horrende Preise für seine Rituale verlangen konnte.
    »Wen habt Ihr zu mir gebracht?«, wollte Joju von Mankichi wissen.
    »Meine Gemahlin«, antwortete der Geldverleiher. »Sie heißt Onaru.« Offenbar handelte es sich um die Gestalt, die bäuchlings zu Jojus Füßen lag, in ein Laken gewickelt. Die Frau krümmte sich und wand sich wie eine Raupe, die versucht, sich aus ihrem Kokon zu befreien. Sie

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