Der Wolkenpavillon
wie?«
»Ihr müsst Eure Sünden bereuen. Emiko verlangt ein Opfer.«
»Sagt mir, was es ist! Ich tue alles, was sie will!«
Wieder grollte der Donner. Joju schien irgendwelchen Stimmen zu lauschen, dann verkündete er: »Ihr müsst diesem Tempel hundert koban spenden, damit ich weiterhin den Notleidenden und Bedürftigen helfen kann.«
Sano wusste, dass alle Geisteraustreibungen so endeten. Alle Geister wollten Geld, Geld und noch mal Geld. Und da Geister das Geld nun einmal nicht ausgeben konnten, gelangte es in die Hände der Priester.
Der Geldverleiher ergriff eine Schatulle, die neben ihm im Dunkeln gestanden hatte, öffnete sie mit zitternden Fingern und legte schimmernde Goldmünzen vor Joju hin. »Hier!«
Doch Joju schien die Münzen gar nicht zu beachten. Stattdessen wandte er sich an den Geist und sprach: »Euer Wunsch wurde erfüllt. Nun sagt Euren Kindern, sie sollen aus dem Leib dieser unschuldigen Frau hervorkommen.« Er wies auf Onaru. »Ihr könnt nun in die Welt zurückkehren, Kinder, in die Ihr gehört.«
Der Geist des Hausmädchens wurde in strahlend weißes Licht getaucht. Rotes, orangefarbenes und blaues Licht flackerte. Onaru heulte und wand sich wie in Geburtswehen, während die Zuschauer schrien, begleitet von neuerlichen Donnerschlägen und Explosionen, die den ganzen Tempel erbeben ließen. Joju hatte sich erhoben und stand mit ausgebreiteten Armen da, das Gesicht gen Himmel gerichtet, während er Gebete sprach. Stechender Rauch breitete sich aus, und die gespenstische, misstönende Musik setzte wieder ein. Sano, Marume und Fukida verfolgten das Geschehen ehrfürchtig.
Dann erloschen die Lichter. Die Geräusche verebbten, die Musik verstummte, die Schreie und das Stöhnen verklangen. Stille senkte sich über die Versammelten. Joju verkündete: »Emiko und die Kinder sind fort.«
Hinter den schwarzen Vorhängen traten Mönche hervor, runde weiße Laternen in den Händen. Die Versammelten blinzelten in der plötzlichen Helligkeit. Wieder wogte Rauch durch die Luft. Der Geldverleiher blickte ängstlich auf seine Frau. »Onaru?«
Still und friedlich lag sie auf der Trage, auf der sie in den Tempel gebracht worden war. »Mein Gemahl ...«, sagte sie mit schwacher Stimme.
»Bringt sie nach Hause, sie soll sich ausruhen«, erklärte Joju. »Sie wird wieder gesund.«
Der Geldverleiher und seine Familie verbeugten sich vor dem Geisterbeschwörer. Voller Dankbarkeit trugen sie die benommene Onaru aus der Halle.
»War das echt?«, fragte Fukida.
»Keine Ahnung.« Der sonst so fröhliche Marume klang ernst. »Aber wenn die Leute zufrieden sind, bin ich es auch.«
Sano erhob sich und ging zu Joju, der auf dem Podest stand, die gefalteten Hände vor der Brust. Er schien nicht überrascht zu sein, den Kammerherrn zu sehen; offenbar hatte er Sanos Anwesenheit bereits die ganze Zeit gespürt. Vielleicht vermochten seine tief liegenden, glühenden Augen auch in der Dunkelheit zu sehen.
»Willkommen, ehrenwerter Kammerherr«, sagte Joju. »Wir wurden einander zwar noch nie vorgestellt, aber ich kenne Euch vom Sehen.«
Aus der Nähe wirkte Joju nicht mehr alterslos. Der Schatten seiner schwarzen Haarstoppeln hatte sich bereits weit über die Stirn zurückgezogen, und sein Körper war nicht so straff, wie es den Anschein gehabt hatte. Furchen kerbten seine Mundwinkel, und in den Augenwinkeln hatte sich ein Netz feiner Fältchen gebildet. Außerdem schien die Geisteraustreibung ihn erschöpft zu haben, denn er war schweißgebadet. Doch er stieg mit der Beweglichkeit eines jungen Mannes vom Podest, und er besaß eine Ausstrahlung, die nicht von seiner körperlichen Erscheinung selbst herrührte. Er trug seine Heiligkeit zur Schau wie eine schimmernde Stola. Diese Beobachtung veranlasste Sano, Joju mit mehr Argwohn zu begegnen als einem normalen Verdächtigen.
»Das war eine ziemlich beeindruckende Vorstellung«, sagte Sano.
Joju lächelte trocken. »Das fasse ich als Kompliment auf. Die Errettung von Seelen kann in der Tat ziemlich dramatisch sein, wie Ihr soeben gesehen habt.«
»Besonders, wenn man Opium in den Weihrauch mischt und Theaterdonner und künstliche Lichtblitze zu Hilfe nimmt, nicht wahr?«, erwiderte Sano, der an sein übernatürliches Erlebnis auf Ezogashima denken musste, das von keinerlei bombastischen Effekten begleitet gewesen war. Für ihn war Joju ein Scharlatan.
Der Geisteraustreiber lachte verblüffend fröhlich. »Offenbar seid Ihr ein Mann, der stets nach logischen
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