Der Wolkenpavillon
ihm sagen konnte.«
Hirata seufzte. »Was wolltet Ihr ihm denn sagen?«
Uchida wartete, tat sehr geheimnisvoll und genoss Hiratas Ungeduld, bis er sich einen finsteren Blick einfing. »Die Cousine von Kammerherr Sano ist nicht die einzige Frau, die in jüngster Zeit entführt wurde«, flüsterte er Hirata zu. »Es gab noch zwei andere.«
11.
»Folgt uns jemand?«, fragte Yanagisawa.
»Nein, Herr«, sagte einer seiner beiden Leibwächter.
Die Männer ritten über einen regengepeitschten Hafendamm im Stadtviertel Hatchobori. Breitkrempige Strohhüte beschatteten ihre Gesichter, und Regenumhänge verbargen die Wappen auf ihrer Kleidung. Yanagisawa blickte über die Schulter, sah aber nur ein paar Arbeiter, die Lastkähne entluden und die Ladung zu den Lagerhäusern am Kai schleppten. Dennoch war höchste Vorsicht geboten.
»Eure Vorsichtsmaßnahmen machen sich bezahlt, Herr«, sagte der zweite Leibwächter.
Nachdem sie den Palast zu Edo verlassen hatten, waren Yanagisawa und seine Begleiter in einer Sänfte zum Anwesen eines verbündeten daimyo gereist. Dort hatten sie sich Pferde und Regenkleidung besorgt, dann hatten sie das Anwesen durch das hintere Tor verlassen und waren durch Seitenstraßen geritten, um mögliche Verfolger abzuschütteln, die ihnen vom Palast aus gefolgt sein könnten. Nun bogen die drei Männer in eine Straße ein, an der sich Läden, Gaststätten und Teehäuser aneinanderreihten. Die Straße war leer bis auf einen Soldaten - einer von Yanagisawas Männern -, der vor einem Teehaus stand, über dessen Eingang ein großes gemaltes Schild hing, das ein Schneckenhaus zeigte. Nachdem Yanagisawa und seine Leibwächter vom Pferd gestiegen waren, ließ der Soldat sie in das Teehaus ein. Sie betraten den Gastraum, in dem weitere Soldaten des Kammerherrn an einem niedrigen Tisch knieten, an dem sonst die Gäste bewirtet wurden. Jetzt aber war der Gastraum leer. Yanagisawas Leute hatten den Besitzer der Teestube und die Gäste davongeschickt.
»Sind sie hier?«, fragte Yanagisawa und schüttelte die Nässe von seinem Strohhut und vom Regenumhang.
»Jawohl, Herr!« Die Soldaten wiesen auf einen Durchgang, vor dem ein blauer Vorhang hing. Erregung erfasste Yanagisawa, als er darauf zuging. Endlich würde er mit der Umsetzung seines Plans beginnen, in den er gestern Abend Yoritomo eingeweiht hatte. Allerdings hing der Erfolg dieses Plans von den Leuten ab, mit denen er sich nun treffen würde.
Yanagisawa schob den Vorhang zur Seite und betrat das dahinterliegende Zimmer. Auf dem tatami -Fußboden knieten zwei ältere Frauen. Beide waren Mitte sechzig und trugen prächtige Seidengewänder in gedeckten Farben. Der kostbare Stoff schimmerte in dem fahlen Licht, das durch ein Gitterfenster ins Zimmer fiel. Die Gesichter der Frauen waren mit Reispulver kreideweiß geschminkt. Ihr Haar hatten sie mit Nadeln aus schwarzem Lack hochgesteckt. In dieser bescheidenen, beinahe schäbigen Umgebung wirkten sie völlig fehl am Platze.
Die jüngere der beiden Frauen meldete sich zuerst zu Wort. »Ihr habt uns mehr als eine Stunde warten lassen«, beklagte sie sich. Ihre Stimme war knapp und präzise und hatte einen herrischen Beiklang - die Stimme einer Dame aus der Oberschicht, die es gewöhnt war, dass man ihr gehorchte. Die Frau war so dünn, dass die Kleidung ihr viel zu weit war. Ihr Gesicht war schmal und edel geschnitten, und es wäre hübsch gewesen, doch die rechte Seite war grässlich verzerrt, die Muskeln wie zusammengebacken, das Auge halb geschlossen.
»Ich musste auf mögliche Verfolger achten«, entgegnete Yanagisawa. »Ich will nicht, dass wir zusammen gesehen werden.«
»Das ist kein Grund, uns so lange warten zu lassen, ehrenwerter ...«
Yanagisawa hob rasch die Hand. »Wir dürfen uns nicht mit Titel und Namen ansprechen«, sagte er und kniete sich den Frauen gegenüber hin. »Nennt mich ›Ogata‹. Ich werde ›Setsu‹ zu Euch sagen.«
»Wie umständlich. Muss das sein?« Mit verächtlicher Miene ließ die Frau den Blick durch das Zimmer schweifen und schaute dann hinaus auf die verlassene Straße, die durch eine Gegend führte, um die sie und ihresgleichen normalerweise einen großen Bogen gemacht hätten.
»Spitzel gibt es überall«, sagte Yanagisawa. »Wie Ihr sehr genau wisst.«
»Das stimmt«, räumte Setsu ein, und Tränen liefen ihr aus dem rechten Auge über die entstellte Gesichtshälfte.
»Und was ist mit mir?«, meldete die andere, ältere Frau sich zu Wort. Sie hatte eine
Weitere Kostenlose Bücher