Der Wolkenpavillon
Gerangel mit den Ermittlern. Er schwitzte stark, sodass sein dunkelblauer Kimono an seiner muskulösen Brust und an den kräftigen Armen und Beinen klebte.
»Wie heißt Ihr?«, fragte Sano.
Der Verdächtige kniff die Lippen zusammen. Marume trat ihm gegen den Oberschenkel und befahl: »Rede!«
»Jinshichi«, sagte der Verdächtige. Seine tiefe Stimme war rau und heiser, als hätte er mit Pech vermischten Sand geschluckt.
»Nun, Jinshichi«, sagte Sano, »hiermit verhafte ich Euch wegen Entführung meiner Cousine.«
»Hab niemanden entführt!«
Er sagte es voller Überzeugung, doch Sano glaubte ihm nicht. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Mann.
»Dann lasst mich Euer Gedächtnis auffrischen«, sagte Sano. »Meine Cousine ist die Frau, die Ihr am Awashima-Tempel getroffen habt. Sie war dort mit ihrem kleinen Kind. Ihr habt Euch im Gebüsch versteckt und ihr zugerufen, Ihr wärt verletzt. Sie wollte Euch zu Hilfe kommen. Da habt Ihr sie gepackt, habt sie verschleppt und das Kind dagelassen.«
»Das hab ich nicht!«, sagte Jinshichi hartnäckig.
»Ihr habt der Frau ein Schlafmittel gegeben.« Sanos Stimme blieb ruhig, obwohl die Wut ihn packte. »Und dann habt Ihr sie eingesperrt ...«
»Nein!«
»... und vergewaltigt.« Sano musste sich zusammenreißen, um sich nicht auf Jinshichi zu stürzen und ihm den trotzigen Ausdruck aus dem Gesicht zu prügeln.
»Ihr irrt Euch.« Falls Jinshichi Angst hatte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
Marume und Fukida, die links und rechts von dem Verdächtigen standen, tauschten einen raschen Blick. Dann schauten sie Sano an. Der konnte in ihren Gesichtern lesen, dass sie an der Schuld Jinshichis zweifelten.
»Ihr habt meine Cousine zwei Tage lang festgehalten«, fuhr Sano fort. »Als Ihr mit ihr fertig wart, habt Ihr sie wie einen Sack Müll in einer Gasse abgeladen.«
Jinshichi murmelte irgendetwas. Fukida gab ihm eine Kopfnuss, worauf er laut und deutlich sagte: »Ich war's nicht. Ich bin unschuldig.«
»Dann habt Ihr wohl auch nichts mit der Entführung von Tengu-in zu tun«, sagte Sano.
»Von wem?«
»Tengu-in, die Nonne. Sie wurde am ersten Tag des dritten Monats aus dem Zōjō-Tempelbezirk entführt. Einen Tag vorher hat man Euch vor dem Eingang des Klosters gesehen.«
»Kann nicht sein«, sagte Jinshichi. »War nicht da.«
»Wo wart Ihr dann an diesem Tag?«, wollte Sano wissen.
Jinshichi musterte Sano ungläubig. »Das ist lange her. Wie soll ich mich daran noch erinnern? Wahrscheinlich hab ich gearbeitet.«
»Und wo?«
»Irgendwo in der Stadt. Woher soll ich das heute noch wissen?« Jinshichis Stimme wurde laut und ungeduldig. »Ich habe nichts Verbotenes getan! Kann ich jetzt endlich gehen?«
»Das wird sich zeigen«, erwiderte Sano. »Vielleicht könnt Ihr ja geradewegs zum Gericht gehen, um Euch wegen zweier Entführungen und Vergewaltigungen zu verantworten.«
Zum ersten Mal zeigte sich Furcht auf Jinshichis Gesicht. Es war allgemein bekannt, dass fast jede Gerichtsverhandlung mit einem Schuldspruch endete.
»Oder was noch besser wäre«, fügte Sano hinzu, »wir sparen uns die Mühe der Gerichtsverhandlung und bringen Euch sofort auf den Richtplatz.«
»Aber ich habe diese Frauen nicht entführt!« Jinshichi zerrte an den Stricken, mit denen er gefesselt war. »Ich schwöre es!«
Das hartnäckige Leugnen des Verdächtigen ließ Zorn in Sano auflodern. Doch selbst wenn er sicher war, dass Jinshichi log, durfte er nicht außer Acht lassen, dass es auch anders sein könnte. Schließlich gab es einen zweiten Verdächtigen, der in einem anderen Raum auf dem Gang von Hirata vernommen wurde.
*
Im anderen Verhörraum musterte Hirata den Gefangenen, der auf dem strohbedeckten Boden vor ihm kniete. »Sag mir deinen Namen!«, befahl er.
»Gombei, ehrenwerter Herr.« Grinsend verbeugte sich der Mann.
Er war schlank und drahtig, einer von den Männern, die viel kräftiger waren, als sie aussahen. Wahrscheinlich konnte er Lasten tragen, die schwerer waren als sein eigenes Körpergewicht. Obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war, strahlte er geballte Kraft aus. Dank seines gesteigerten Wahrnehmungsvermögens vernahm Hirata den raschen Herzschlag des Mannes und hörte das Rauschen des Blutes unter der Haut. Obwohl dem Mann zwei Vorderzähne fehlten, war sein Gesicht keineswegs hässlich. Sein Haarknoten war sorgfältig gebunden, und das Haar fiel ihm lang und gewellt bis auf die Schultern. In seinen funkelnden Augen spiegelten sich
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