Der Wolkenpavillon
Gerissenheit und ein wacher Verstand.
Dank seiner geschärften Wahrnehmung und seinen geschulten Sinnen konnte Hirata spüren, dass Gombei eine Menge zu verbergen hatte. Er konnte es so deutlich spüren, wie er tags zuvor die machtvolle, bedrohliche Präsenz am Shinobazu-See gespürt hatte.
Wer war der Mann? Und was hatte er vor?
Hirata wusste es nicht, rechnete aber ständig damit, dass sein unsichtbarer Feind erneut zuschlug. Er hatte das sichere Gefühl, dass dieser Fremde wusste, wer er, Hirata, war, während Hirata selbst keinerlei Vorstellung hatte, wer sein Gegner sein könnte. Er blickte immer wieder über die Schulter, weil er das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Er kam sich vor wie ein Feigling, nicht wie der beste Kämpfer in ganz Edo. Sein unsichtbarer Gegner hatte Furcht in sein Herz gesät, ein Samenkorn, das nun heranwuchs und die Angst und die Unsicherheit in ihm nährte, ohne dass er es wollte.
Was würde geschehen, wenn er dem Unbekannten das nächste Mal begegnete?
Und es würde ein nächstes Mal geben. Die Frage war nur, wann.
Gombeis Stimme riss Hirata aus seinen Gedanken und holte ihn in die beklemmende Wirklichkeit des Gefängnisses von Edo zurück. »Ich bin ein gesetzestreuer, ehrenhafter Bürger, der nie etwa Unrechtes getan hat.« Er trat so glaubwürdig und so beflissen auf, dass Hirata automatisch misstrauisch wurde. »Bitte glaubt mir, ehrenwerter Herr. Ihr könnt alle fragen, die mich kennen. Meine Familie, meine Freunde, meine Nachbarn, meinen Vorarbeiter. Alle werden Euch sagen, dass ich ...«
»Ein Schwätzer bin«, unterbrach Hirata den Redefluss des Gefangenen. »Unterhalten wir uns lieber über das kleine Mädchen, das du entführt hast.«
Gombei riss erschrocken die Augen auf. Stumm wiederholten seine Lippen das Wort »Entführung«. Mit leiser Stimme fragte er: »Welches kleine Mädchen?«
»Das Mädchen am Shinobazu-See.«
»Bei allem gebotenen Respekt, aber damit habe ich nichts zu tun«, antwortete Gombei mit einem Beiklang von Empörung. »Ich würde einem Kind niemals etwas Böses antun. Ich kann keiner Fliege etwas zuleide tun, außer es ist eine, die einen sticht.«
»Du warst aber in der Gegend, in der das Mädchen entführt wurde«, sagte Hirata. »Ein Zeuge hat dich gesehen.«
»Mit Verlaub, ehrenwerter Herr, aber wenn Euer Zeuge mich gesehen hat, bedeutet das noch lange nicht, dass ich jemanden entführt habe. Viele Leute haben mich am See gesehen, weil ich dort arbeiten musste.«
»Doch, das hast du. Du hast das Mädchen entführt, hast es in einen Käfig gesperrt und vergewaltigt.«
»Das ist nicht wahr!«, rief Gombei, außer sich vor Empörung. »Ich habe es nicht nötig, jemanden zu entführen oder einzusperren, wenn ich meinen Spaß haben will. Außerdem stehe ich nicht auf Kinder, sondern auf Frauen.« Sein Zorn verflog, und ein lüsternes Grinsen legte sich auf seine Lippen. »Und die Frauen stehen auf mich. Ich habe eine Ehefrau, eine Geliebte und Freundinnen überall in der Stadt.«
»Nicht einmal ein Frauenheld wie du kriegt alle ins Bett«, spöttelte Hirata und versuchte vergeblich, seine geistigen Kräfte auf Gombei zu konzentrieren und ihn auf diese Weise zu zwingen, die Wahrheit zu sagen; zu sehr lenkte der Gedanke an die furchteinflößende Präsenz am Shinobazu-See ihn ab.
»Und was tust du, wenn du eine Frau haben willst, sie aber nicht kriegen kannst?«, fragte Hirata.
Gombei grinste. »So eine Frau gibt es nicht.«
»Wie wäre es mit der Cousine von Kammerherr Sano? Sie stammt aus einer vornehmen Samurai-Familie und hat ein kleines Kind. Auch sie wurde entführt.« Hirata verstummte, dann fragte er: »Gefällt es dir eigentlich, Milch aus der Brust einer Frau zu trinken, während du mit ihr schläfst?«
»Was?« Gombeis Stimme klang schrill vor ungläubiger Entrüstung. »Das ist ja abartig!«
»Wie wäre es mit einer sechzigjährigen Nonne? Erregt es dich, fromme Frauen zu vergewaltigen?«
Gombei stammelte: »Bei ... mit allem gebotenen Respekt, aber ... nur ein Mann, der nicht richtig im Kopf ist, würde so etwas tun.«
»So einer wie dein Freund?«
*
»Du könntest dir eine Menge Schwierigkeiten ersparen, wenn du gestehst«, sagt Fukida zu Jinshichi.
»Und uns könntest du die Mühe ersparen, dich zu foltern«, fügte Marume hinzu.
Beide Ermittler wussten, dass Sano die Folter hasste, weil sie oft zu falschen Geständnissen führte, doch als letztes Mittel wurde sie immer noch angewendet.
»Nur zu!« In
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