Der Wolkenpavillon
Seine Beamten hatten es ihm oft genug zu verstehen gegeben, doch es hatte nichts geholfen. Normalerweise hätte Yanagisawa jetzt die Gelegenheit genutzt und Sano für die Finanznot verantwortlich gemacht. Er hätte ihn beschuldigt, das Geld verschleudert und veruntreut zu haben. Sano hingegen wusste, dass Yanagisawa sich während seiner Amtszeit als Kammerherr großzügig aus der Staatskasse bedient hatte. Doch seit sie sich dieses Amt teilten, hatte Yanagisawa keine Unterschlagung mehr begangen; Sano behielt die Staatsfinanzen ganz genau im Auge. Weshalb Yanagisawa sich so strikt an die Gesetze hielt, das war Sano allerdings ein Rätsel. Genauso wenig konnte er sich erklären, warum Yanagisawa jetzt und hier nicht die Gelegenheit nutzte, ihn, Sano, als Verantwortlichen für die zerrütteten Finanzen Japans hinzustellen. Stattdessen erklärte Yanagisawa: »Der Staatsschatz schrumpft bereits seit Jahren. Allein die Kosten für den Neuaufbau Edos nach dem Großen Feuer ...«
Yanagisawa verstummte, als der Shōgun eine wegwerfende Handbewegung machte, so als wäre das Große Feuer eine kleine Unannehmlichkeit gewesen und nicht eine Katastrophe, die über hunderttausend Menschenleben gefordert und die Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte. »Das war vor mehr als vierzig Jahren!«
»Es gibt noch andere gewaltige Ausgaben«, wandte Sano ein. »Denkt nur an die laufenden Kosten. Ihr müsst im ganzen Land Tempel und Heiligtümer unterhalten - ganz zu schweigen von den Straßen, Brücken und Kanälen.«
»Und vergesst nicht, dass Ihr für Tausende von Gefolgsleuten und für die Tokugawa-Armee aufkommen müsst«, warf Yanagisawa ein.
»Aaah!« Der Shōgun krümmte sich, als würde der bloße Gedanke an diese ungeheuren Ausgaben ihn niederdrücken. »Könnt Ihr mir nicht einfach mehr Geld machen, wenn ich mehr Geld brauche?«, fragte er.
»So einfach ist das nicht«, entgegnete Sano. »Die Erträge der Gold- und Silberminen sind zurückgegangen. Wir können keine neuen Münzen prägen.«
»Hinzu kommt, dass Japan einen großen Teil seines Reichtums an fremdländische Händler verloren hat, die uns ihre Waren aus dem Ausland verkaufen«, fügte Yanagisawa hinzu.
Der Shōgun schmollte. »Warum ... äh, verringern wir dann nicht einfach den Wert der Münzen, wie wir es schon einmal getan haben?«
Diese drastische Maßnahme war bereits sechs Jahre zuvor ergriffen worden: Der Staat hatte die Münzen, die in Umlauf waren, einsammeln und einschmelzen lassen und hatte der Legierung unedles Metall beigegeben, um den Anteil an Gold und Silber zu verringern. Auf diese Weise waren mehr Münzen geprägt worden und in Umlauf gekommen.
»Wir dürfen nicht zu oft zu diesem Mittel greifen«, warnte Sano.
»Zumal es die unschöne Nebenwirkung hat, dass die Preise für Handelsgüter steigen«, fügte Yanagisawa hinzu.
»Was kümmert mich das?«, stieß der Shōgun verärgert hervor.
»Viele Eurer Untertanen können sich keine Lebensmittel mehr leisten«, sagte Yanagisawa. »Es käme zu einer Hungersnot. Und das wollt Ihr doch gewiss nicht.«
»Nein, aber ich will immer noch nach Nikko!« Auf dem Gesicht des Herrschers erschien jener gereizte Ausdruck, der stets Vorbote eines seiner Wutanfälle war, die meist damit endeten, dass er Sano und Yanagisawa die Todesstrafe androhte.
»Die Menschen brauchen Eure Fürsorge«, sagte Sano. »Und ist es nach den Regeln des Konfuzius nicht Eure Pflicht, Euch um das Volk zu kümmern?« Der Shōgun war ein begeisterter Anhänger des großen chinesischen Weisen, dessen Philosophie seit langer Zeit großen Einfluss auf die japanische Regierungsführung hatte. »Deshalb solltet Ihr sparsam sein. Als Shōgun seid Ihr nicht nur ein Herrscher, Ihr seid beinahe ein Gott, der die Macht hat, großzügig, gnädig und mildtätig zu sein gegenüber den Sterblichen.«
»Ja, so ist es wohl«, sagte der Shōgun und sonnte sich in dem Gedanken, ein gottgleicher Herrscher zu sein. Im salbungsvollen Tonfall uneigennütziger Selbstaufopferung erklärte er: »Ich werde meine Pilgerreise aufschieben, um meinen Untertanen zu dienen!«
Yanagisawa blickte Sano mit hochgezogenen Brauen an, um diesem anzudeuten, dass er ein bisschen zu dick aufgetragen habe. »Eure Haltung ist bewundernswert, Herr«, sagte er dann zum Shōgun. »Wir verneigen uns vor Eurer Güte und Weisheit.«
Tokugawa Tsunayoshi strahlte. Die im Saal Versammelten entspannten sich. Doch dann schlug die Stimmung des Herrschers unvermittelt um. »Was
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