Der Wüstendoktor
schußbereit.
»Vorsichtsmaßnahmen.« Dr. Karabasch richtete sich auf, klammerte sich an der Jeepwand fest und schwenkte mit der rechten Hand eine kleine rote Fahne. »Vor drei Wochen tauchte hier eine Patrouille der Armee auf.«
»Und wo ist sie jetzt?« fragte Vandura aggressiv.
»Sie ist unser Gast.« Karabasch ließ sich auf den ungepolsterten Stahlsitz fallen. »Schließlich sind wir Brüder, nur die Uniform ist verschieden.«
Sie fuhren an den Schützenpanzern vorbei, und Vandura bedauerte die Jungen, die dort in den glühenden Särgen saßen. Es mußte der Vorhof der Hölle sein.
El Muwaqqar machte auf Vandura den Eindruck einer völlig verrückten Vision. Die Steinhäuser verfielen, zerpulverten in der gnadenlosen Sonne, aber doch wohnten Menschen in ihnen, sogar Frauen und Kinder, Ziegen und Hunde, Esel und Katzen. In den armseligen Gärten harkten ein paar Männer in hochgeschlagenen Hosen den steinigen Boden. Ihre karierten Kopftücher, die aussahen wie um den Kopf geschlungene Handtücher, ließen nur die Augen und den Ansatz der Nase frei. Sie blickten nicht auf, als der Jeep durch die Straße ratterte, und harkten weiter. Das Zeltlager dagegen war ein typisches Militärcamp. Sogar exerziert wurde … Auf einem Platz zwischen den Wohnzelten übte ein Trupp Ausfall mit dem Gewehr und Bajonettangriff.
Vandura lachte und tippte an die Stirn. Karabasch nickte.
»Sie haben recht, Vandura. Das ist Mittelalter. Aber so wird hier gekämpft. Wer am lautesten brüllt, wer am martialischsten aussieht, wer am intensivsten knallt und wer vor allem zeigt, daß ihm keine Kugeln etwas ausmachen, und weiterrennt, der gewinnt. Die modernen Waffen sind dabei nur unterstützend.«
»Und damit wollen Sie das Großarabische Reich erobern?«
»Ja. Wir werden es!« Das klang fest und selbstbewußt. Vandura schwieg. Obwohl er sich dagegen wehrte – er war irgendwie fasziniert.
Im Lazarett erwartete man sie bereits. Der Arzt stand unter dem Eingang, daneben zwei Pfleger. Eine kleine Ehrenformation.
»Ach, ich bin angemeldet?« sagte Vandura sarkastisch.
»Neben Heldenmut ist ein Funkgerät die wichtigste Waffe der Rebellen.« Karabasch lachte und half Vandura aus dem Jeep. »Im Wohnzelt ist eine Dusche installiert. Machen Sie sich frisch. Ich habe Hammelbraten mit Kuskus und Schmalzbrezeln bestellt. Ihr Geschmack, Kollege?«
»Geradezu fürstlich. Und der Mokka?«
»Dampft bereits in der Kupferkanne.«
Dr. Vandura begrüßte den jordanischen Arzt, hörte den Namen, den er nicht verstand, gab den Pflegern auch die Hand und blähte schnuppernd die Nasenflügel. Ein süßlicher Geruch strömte aus dem Krankenzelt.
»Eiter –«, sagte er kurz. Karabasch nickte.
»Neunundsiebzig Verletzte. Und Dr. Ashraf ist Kinderarzt.«
»Und Sie?«
»Neurologe.«
»Prost, Onkel Otto.« Dr. Vandura wandte sich zum Schlafzelt. Karabasch ging voraus. »Lassen Sie Dr. Ashraf die ersten zehn vorbereiten. Die kritischsten Fälle. In zwanzig Minuten bin ich bereit.«
Karabasch blieb ruckartig stehen. In seine schwarzen Augen sprang Triumph. »Sie bleiben also, Vandura?«
»Nein, ich sehe mir nur die Verwundeten an.«
Karabasch nickte dankend. Die meisten Ärzte reden um die Ecke, dachte er. Ich weiß, daß er bleibt – wenn er erst die Verletzten sieht –
Im Operationsteil des langgestreckten Zeltes surrten vier große Ventilatoren, um das Klima erträglich zu machen. Es mißlang. Die Propeller wirbelten nur die heiße Luft herum, aber sie kühlten kaum. An den sich bauschenden Zeltwänden lagen auf einfachen Holztragen die zehn schwersten Fälle, wie Vandura gewünscht hatte, und starrten den europäischen Arzt aus fiebrigen Augen an. Dr. Ashraf stand mitten unter ihnen und sprach ihnen Mut zu. »Er ist ein Chirurg«, sagte er. »Habt keine Angst, Brüder. Er kann mehr, als die Kugeln aus den Körpern fischen. Dankt Allah, daß er gekommen ist, auch wenn es ein Ungläubiger ist.«
Auf dem OP-Tisch – zur Verblüffung Vanduras war es ein moderner, klappbarer, mit allen Schikanen ausgerüsteter Tisch wie in der besten europäischen Klinik – lag bereits ein Schwerverwundeter. Er war nackt, stöhnte und ballte die Fäuste vor Schmerzen. Ein Mädchen im weißen Kittel, die schwarzen Haare unter einer Haube aus Verbandsmull, schnitt den durchbluteten und von Eiter klebenden Verband von dem zerfetzten linken Bein. Sie tat das schnell und sicher, wie Vandura sofort sah.
»Wer ist denn das?« fragte er.
»Laila Husseini.
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