Der wunderbare Massenselbstmord
begründet, dass die Vögte regelmäßig der österrei chischen Regentschaft über die Haushaltung der Burg Bericht erstattet hatten. Die Inventarverzeichnisse, die seit 1527 angefertigt worden waren, zeugten von Wohlstand: In der Burg hatte es reichlich Waffen, Ar beitsgeräte, Möbel und anderen Besitz gegeben. Da die Burg groß war, hatte ständig an der Instandhaltung gearbeitet werden müssen, und trotzdem war sie nach und nach verfallen. Die Dächer waren so durchlässig gewesen, dass man in den feuchten Burgkammern die Betten hatte hin und her schieben müssen, damit sie nicht nassregneten. Sogar in die Pulverkeller war Was ser getropft, und oft hatten die Burgvögte gebetet, dass das ganze Ungetüm herunterrasseln und die Burg an schließend »nicht höher als zwei Speerschäfte hinaufrei chen« möge.
Ein wenig erregt erzählte die Französin vom Dreißig jährigen Krieg, in dem die Burg ihre schlimmste Periode erlebt hatte. Die Schweden hatten im Elsass nach Kräf ten geraubt und vergewaltigt. Im Juni 1633 hatten diese Barbaren dann die Burg selbst belagert, mit Unterstüt zung von Artillerie. Die Garnison hatte zwar aus der Reserve Verstärkung erhalten, schließlich aber trotzdem fliehen müssen. Am siebenten September 1633 hatte sich die Burg ergeben.
Der Oberst warf die Bemerkung ein, dass die Belage rungstruppen wahrscheinlich Finnen gewesen seien, allerdings unter schwedischer Militärführung, denn zu jener Zeit habe Finnland zum schwedischen Reich ge hört. Er sprach sein Bedauern über das Verhalten sei ner Landsleute im siebzehnten Jahrhundert aus. Als Militär verstehe er jedoch die Ereignisse. Die Finnen seien an sich nicht bösartig gewesen, aber aus militäri schen Gründen habe man eine so starke Befestigung einfach erobern müssen, um den Krieg im fremden Land fortsetzen zu können.
Die Französin bedankte sich für die Vervollständigung ihrer mangelhaften Geschichtskenntnisse und fuhr ungerührt fort:
»Im September 1633 brannten die »Finnen« die Fe-stung Königsburg bis auf die Grundmauern nieder, töteten die letzten Verteidiger und vergewaltigten die Frauen, die in der Burg Schutz gesucht hatten.«
Dazu gab Oberst Kemppainen keinen Kommentar. Nach der Besichtigung kehrte die Gruppe mit dem Bus nach Saint Hippolyte zurück, worauf Oberst Kemppai nen und Helena Puusaari wie gewohnt bei der Polizei in Colmar anriefen. Man bat sie, sofort zu kommen. Die drei Finninnen seien gefunden worden. Sie seien am Leben, wenn auch sehr erschöpft. Im Grunde genom-men habe man die Frauen schon vor ein paar Tagen festgenommen. Man habe sie anfangs für Schwedinnen gehalten – das hatten sie selbst behauptet –, aber bei genaueren Untersuchungen habe sich herausgestellt, dass sie doch Finninnen seien, und zwar eben jene Personen, die der Oberst und seine Gruppe suchten.
Helena Puusaari ging an den Apparat und fragte, ob den Frauen irgendein Vergehen zur Last gelegt werde. Sie bekam die Auskunft, dass bisher nichts wirklich Schwerwiegendes passiert war, wenn man die Tatsache, dass sie das Leben im ganzen Weintal auf den Kopf gestellt hatten, nicht als Vergehen werten wollte.
Die Anonymen Sterblichen fuhren nach Colmar. Wäh rend die Gruppe die Stadt besichtigte und eine Hotelun terkunft suchte, gingen Oberst Kemppainen und Helena Puusaari zur Polizeistation, um sich um ihre Landsleute zu kümmern. Der Polizeichef empfing den Oberst und Frau Puusaari höflich. Er bot dem Paar in seinem Büro ein Glas ausgezeichneten lokalen Wein an und erkun digte sich nach der Situation in Finnland. Er erklärte, dass er eigentlich ein Freund Finnlands sei. Sein Vater habe vor dem Krieg eine Urlaubsreise nach Gotland gemacht, und das liege doch wohl in Finnland oder jedenfalls in der Nähe.
Dann kam man zur Sache. Der Polizeichef erklärte, dass die drei Frauen aus der Gruppe des Oberst wäh rend ihres Frankreich-Besuches, der sich über eine Woche hingestreckt hatte, moralische Verwirrung ausge löst hatten. Sie waren ohne genaues Ziel in der Gegend umhergezogen, und überall, wo sie hingekommen wa ren, hatten sie für Unruhe gesorgt. Der Polizeichef wollte nicht näher auf ihre Aktivitäten eingehen. Er sagte, dass der Oberst und seine Begleiterin sicher verstanden, dass die Angelegenheit delikat war. Obwohl die Frauen ei gentlich nichts getan hatten, was gegen die Gesetze Frankreichs verstieß, hatte man dennoch beschlossen, sie im Namen des allgemeinen Interesses aus
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