Der Wunschtraummann
Highfive stürzt er sich auf ihn, und dann wird sich wechselseitig gegen die Schulter geboxt und auf den Rücken geklopft.
Ich stehe da, eingefroren wie die Landschaft ringsum. Ich fasse nicht, was ich da gerade sehe. Chris ist hier? In unserem Ski-Chalet? Was zum …?
O nein. Er ist der Freund.
Mir sackt das Herz in die Kniekehlen. Ich wage es kaum, den Gedanken zu Ende zu bringen. Aber die Worte formen sich ungebeten in meinem Kopf, und ich zwinge mich, sie zu einem Satz zusammenzusetzen.
Das. Ist. Sein. Chalet.
Urplötzlich schmilzt meine Begeisterung dahin, schneller noch als die Polarkappen.
»Und Tina!«, poltert Chris in meine Richtung. »Schön, dich zu sehen!«
»Nein, Tess«, versuche ich ihn zu korrigieren, doch er hat uns bereits den Arm um die Schultern gelegt wie ein Lasso und treibt uns nach drinnen wie ein etwas überreizter Cowboy.
Und gerade, als ich schon dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen.
»Hey, Anna, schau mal, wer da ist!«, tönt er.
Wir betreten den offenen Wohnbereich, an den sich die Küche anschließt, und die Eiskönigin höchstpersönlich erscheint hinter der Kühlschranktür. In weißer Jeans und weißem Poloshirt erinnert sie mich an einen hageren weißen Eiszapfen, und genauso viel Wärme verströmt sie auch.
»Hallo, ihr beiden«, sagt sie knapp mit ihrem Chelsea-Akzent, den Fiona aller Mühe zum Trotz bis heute nicht gemeistert hat. »Wie war der Flug?« Sie hält den Jungs zwei Flaschen Bier hin.
»Cool«, meint Seb, lässt unser Gepäck fallen und nimmt eine davon. Chris schnappt sich die andere. Ich sehe zu, wie sie in durstigen Zügen trinken. Ehrlich gesagt, bin ich auch halb vertrocknet, denke ich mit einem Blick zu Anna, aber für die scheine ich Luft zu sein.
Irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, Anna und ich werden nicht die besten Freundinnen.
»Und, bist du bereit, Powder Monkey?«, johlt Chris.
»Und wie!«, ruft Seb begeistert.
Ich schaue zwischen ihnen hin und her. Keine Ahnung, wovon die beiden reden.
»Was ist denn ein Powder Monkey?«, frage ich zaghaft.
Anna stößt ein verächtlich schnaubendes Lachen aus.
»So nennt man Snowboard-Verrückte wie uns, Babe«, erklärt Seb und legt mir den Arm um die Taille. »Keine Sorge, ich habe schon alles arrangiert für deine erste Stunde.«
»Du kannst kein Ski fahren?«, ruft Anna.
»Nein«, entgegne ich schmallippig und schüttele den Kopf.
»Herrje«, japst sie mit weit aufgerissenen Augen.
Sie sieht so ungläubig aus, man könnte meinen, ich hätte ihr gerade gesagt, ich könne meinen eigenen Namen nicht buchstabieren.
»Skifahren ist nur was für Omas«, witzelt Seb und lächelt mir zu. »Tess lernt snowboarden.«
Anna sieht aus, als habe sie auf eine Zitrone gebissen, und ich erwidere dankbar Sebs Lächeln.
»Okay, also dann, worauf warten wir noch? Dann mal nichts wie raus auf die Piste!«, grölt Chris und knallt die leere Bierflasche auf die Arbeitsplatte. »Bist du so weit?«, fragt er Seb.
»Und wie«, entgegnet Seb überschwänglich. »Tess?«
Mir wird ganz komisch im Magen, aber es hilft ja nichts. »Ich denke schon«, sage ich und lächele. Alles wird gut. Kein Grund zur Sorge. Das wird ein Riesenspaß.
Stimmt’s?
Ähm, nein, also, nein, nicht ganz.
Wie ich so zum ersten Mal auf einer Skipiste stehe und meinem Skilehrer lausche, mustere ich verstohlen mein Spiegelbild im Schaufenster der Skischule. Momentan würden mir viele Worte einfallen, um das zu beschreiben, was ich hier mache, und Spaß gehört ganz sicher nicht dazu.
Es fängt schon mal damit an, dass ich aussehe wie ein Michelin-Männchen. Während alle anderen ganz sexy in Cargohosen und engen Thermo-Tops herumlaufen, die Skibrille lässig in die Stirn geschoben wie Sonnenbrillen am Strand von Saint Tropez, bin ich so dick eingemummelt, dass ich aussehe wie ein Komiker in einem Sumo-Anzug. Glauben Sie mir, der Begriff »Lagenlook« bekommt plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Ich trage so viele Lagen, dass ich kaum laufen kann, geschweige denn snowboarden.
Zunächst mal wären da die normale und die Thermounterwäsche. Gefolgt von Fleecesachen und was zum Drüberziehen. Und zu guter Letzt eine grellbunte dicke Jacke und eine wasserdichte Hose. Dazu Knieschützer, Handgelenkschoner und Ellbogenschützer. An den Händen etwas, das aussieht wie ein Paar wasserdichter Ofenhandschuhe. Ein Helm. Und nur damit ich auf gar keinen Fall auch nur das kleinste bisschen attraktiv aussehe, eine verspiegelte Skibrille,
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