Der Wunschtraummann
Straße schleudert, und ich weiß nicht, wie ich es anhalten soll.
Aber ich muss es versuchen.
»Ich wollte dich nicht verletzen«, sage ich rasch, nehme die Hände weg und schaue ihm tapfer in die Augen. »Ich weiß, wie es sich anfühlt, zurückgewiesen zu werden.«
»Ja, klar«, bemerkt er schnippisch. »Was weißt du schon über Zurückweisungen?«
Ich zögere. Das kann ich ihm nicht sagen. Ich kann ihm nicht von Seb erzählen, das würde er mir nie glauben.
»Ich … ich kann dir das nicht erklären …«
»Komisch …«
»Aber es stimmt, ich kenne das Gefühl, du musst mir glauben«, flehe ich und kämpfe gegen die Tränen.
»Dir glauben«, schnaubt er verächtlich. »Warum sollte ich dir irgendwas glauben? Du glaubst ja nicht mal an dich selbst.«
Dieser Vorwurf trifft mich völlig unvorbereitet.
»Du machst mehr schlecht als recht irgendeinen Bürojob, weil du dich nicht traust, an dein Talent zu glauben oder deinen Traum zu leben oder auch nur irgendwas auszuprobieren, was du wirklich gut kannst …«
Sprachlos starre ich ihn an.
»Ich habe die Tasche bei deinem Großvater gesehen. Die war der Hammer, du hast wirklich Talent, aber du verschwendest es einfach und wirfst es weg, weil du nicht den Mumm dazu hast, an dich selbst zu glauben. Weil du denkst, du seiest nicht gut genug …«
»Das sagst gerade du!« , zicke ich ungehalten zurück, als ich meine Sprache wiederfinde. »Vor diesem Vorsprechen war dein Selbstbewusstsein am Boden, und du warst davon überzeugt, du bist nicht gut genug.«
»Aber ich bin trotzdem hingegangen oder etwa nicht?«, widerspricht er. »Ich habe es zumindest versucht.«
»Weil ich dir eine Mail geschickt habe«, gebe ich scharf zurück.
»Ach bitte, bilde dir bloß nichts ein, Tess«, entgegnet er mit eiskalter Stimme. »Ich wäre so oder so hingegangen. Meinst du, ich bin es nicht gewohnt, Absagen zu bekommen? Ich hätte mich da vorne hingestellt und hätte es versucht, denn wenn man es erst gar nicht versucht, dann hat man schon verloren.« Er hält inne und fährt sich mit der Hand durch die Haare, die ihm vom Regen an der Stirn kleben, dann schaut er mich durchdringend an. »Wovor hast du solche Angst, Tess? Warum hast du solche Angst davor, du selbst zu sein?«
»Ich habe überhaupt keine Angst«, entgegne ich aufgebracht.
»Und darum gibst du auch die ganze Zeit vor, jemand zu sein, der du nicht bist?« Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Und ich dachte, ich bin der Schauspieler von uns beiden.«
Irgendwie, irgendwo hat dieses Gespräch eine eigenartige Wendung genommen, denn nun geht es plötzlich um mich, und das gefällt mir nicht.
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Der Film? Das Konzert?«, wirft er mir an den Kopf. »Snowboarden?«
Auf einmal muss ich an unsere vielen Gespräche denken: wie ich ihm von der Star Wars- DVD erzählt habe, die ich dank seiner Hilfe aufgetrieben habe, und ich, wie ich ihm gestanden habe, eigentlich gar kein Science-Fiction-Fan bin; wie ich ihm im Vertrauen gesteckt habe, dass ich mit Ohrenstöpseln zum Konzert von Sebs Indie-Band gegangen bin und eigentlich lieber ganz normale Popmusik mag, und wie er mich mit den Nolans zum Lachen gebracht hat; wie ich mich über seine SMS gefreut habe, als ich ganz allein in Chamonix im Café saß und ihn angerufen habe, um eine freundliche Stimme zu hören, und ihm erzählt habe, wie es mir wirklich geht.
»Und ich dachte anfangs, Sara sei die Hochstaplerin«, sagt er mit einem hohlen Lachen.
»Ich bin keine Hochstaplerin!«, schimpfe ich und fühle mich doch in die Ecke gedrängt. »Du hast ja keine Ahnung, was du da redest.« Doch noch während ich alles abstreite, wird mir klar, er hat etwas ausgesprochen, das ich nicht hören will. Er hat Zweifel angesprochen, denen ich mich nicht stellen will.
Und dann schweigen wir beide und stehen einfach da in der vom Scheinwerferlicht der Autos getränkten Dunkelheit und atmen schwer, und der Regen durchnässt uns bis auf die Haut. Wut und Kränkung hängen in der Luft wie Autoabgase und bilden eine undurchdringliche Mauer zwischen uns. Eben noch so nah, nun so weit entfernt.
»Bist du dir da ganz sicher, Tess?«, fragt er nach einer langen Pause. »Ich weiß es nämlich nicht so genau. Ich dachte, ich kenne dein wahres Ich, den Menschen hinter der Fassade, aber da bin ich mir jetzt nicht mehr so sicher. Ich weiß nicht, was wahr ist und was nicht.« Er schaut kurz auf und sieht mich an. »Kennst du dich überhaupt
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