Der Wunschtraummann
keiner sagt ein Wort. Angestrengt starren wir auf unsere Schuhspitzen. Und da erst merke ich, dass ich immer noch beide Teetassen in der Hand habe.
»Dann mochtest du das alles also eigentlich gar nicht?«, sagt er nach langer Pause. »Du hast bloß so getan?«
Endlich hat er es verstanden.
»Es tut mir leid«, sage ich.
»Tja, dann gehe ich wohl besser …« Er steht vom Sofa auf, und ich folge ihm durch den Flur. »Bye, Tess.«
»Bye, Seb.«
Linkisch geben wir uns einen Kuss auf die Wange, und er ist schon fast zur Tür hinaus, als er sich noch mal zu mir umdreht und sich räuspert.
»Und was war mit dem Abend, an dem du fünf Orgasmen hattest? Hast du mir die auch nur vorgespielt?«
Sein hübsches Gesicht ist gezeichnet von Unsicherheit, und ich verschränke hinter dem Rücken die Finger und schüttele den Kopf. »Nein, das war echt.«
Worauf seine Miene sich wieder etwas entspannt. »Habe ich mir doch gedacht, dass du mir das nicht vorspielen kannst«, sagt er, dann nickt er zufrieden, dreht sich um, geht aus der Wohnung und schließt die Tür hinter sich.
Liebes Tagebuch,
Seb und ich haben uns heute getrennt.
Wobei, eigentlich stimmt das nicht ganz. Er hat sich von mir getrennt. Er sagte, er liebe mich, aber es sei eben nicht die ganz große Liebe, und deshalb sei es wohl besser, wenn wir uns trennten, und er hoffe, dass wir Freunde bleiben könnten …
Und weißt du, was das Schlimmste ist? Dass er mir gesagt hat, er könne sich keine gemeinsame Zukunft mit mir vorstellen. Das hat mir das Herz gebrochen.
Ich weiß gar nicht, was ich schreiben soll. Soll ich schreiben, dass ich noch immer wie betäubt bin? Dass es erst ein paar Stunden her ist und ich noch gar nicht glauben kann, dass es wirklich aus ist? Dass ich genau weiß, bald wird der erste Schock vorbei sein und die Betäubung allmählich nachlassen wie die Spritze beim Zahnarzt, und dass ich panische Angst habe vor dem Schmerz?
Oder soll ich schreiben, dass es alles meine Schuld ist? Es gibt so vieles, von dem ich wünschte, ich hätte es anders gemacht. So vieles, was ich bereue. So viel »was wäre, wenn«. Doch dazu ist es jetzt zu spät. Noch nie habe ich einen Menschen so geliebt wie Seb, und nun habe ich ihn verloren.
Er fehlt mir jetzt schon.
Siebenunddreißigstes Kapitel
Hätte mir damals, als Seb sich von mir getrennt hat, jemand gesagt, ein paar Monate später würde ich mit ihm Schluss machen, ich hätte ihm kein Wort geglaubt. Ich hätte gesagt, das sei unmöglich, undenkbar, einfach grotesk. Ich hätte ihn für verrückt erklärt.
Ich hätte …
Na ja, Sie verstehen, worauf ich hinauswill.
Als Seb weg ist, mache ich mir erst mal einen Tee mit zwei Stück Zucker. Wobei, sagen wir lieber drei. Na ja, das soll man doch machen, wenn man unter Schock steht, oder? Nur dass ich mich diesmal selbst schockiert habe. Die Trennung von Seb kam auch für mich aus heiterem Himmel. Als ich heute Morgen aufgestanden bin, hatte ich nicht vor, unsere Beziehung zu beenden. Ich habe mir keinen Haftnotizzettel an den Monitor geklebt (wobei ich diese Organisationsmethode nach dem gestrigen Tag wirklich noch mal gründlich überdenken sollte).
Ja, wäre Schlussmachen ein Verbrechen, ich würde auf »nicht schuldig, hohes Gericht« plädieren, weil es ohne Vorsatz geschehen ist. Es war nur einfach so: Als ich aufgehört habe, ständig an Seb zu denken und daran, was er will, und kurz überlegt habe, was ich eigentlich will, da ist mir aufgegangen, was immer es ist, Seb ist es jedenfalls nicht. Ich will jemanden, der mich so liebt, wie ich wirklich bin – und das tut er nicht.
Und in dem Moment war plötzlich alles anders. Es war, als hätte ich an einem losen Faden gezogen, und plötzlich begann unsere ganze Beziehung sich aufzulösen wie ein Strickpulli und einfach auseinanderzufallen.
Und auf einmal standen wir da und trennten uns. Noch mal .
Nur ist es diesmal anders. Ich bin anders. Wie ich so mit meiner Tasse Tee auf dem Sofa sitze und meinen Tagebucheintrag noch mal lese, da kommt es mir fast vor, als hätte das jemand anderer geschrieben. Ich bin nicht mehr das am Boden zerstörte kleine Mädchen, das sich die Schuld an allem gibt.
»Er hat mir gesagt, er könne sich keine gemeinsame Zukunft mit mir vorstellen.«
Ich lese die Worte noch mal, und diesmal entgeht mir die feine Ironie darin nicht. Durch eine kuriose, merkwürdige Laune des Schicksals habe ich zwar womöglich unsere gemeinsame Vergangenheit ausgelöscht, aber Seb
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