Der Wunschtraummann
mir. Das lasse ich in den Karton fallen. Das war’s. Das ist alles.
Nachdenklich betrachte ich den Inhalt der Kiste. Wie komisch. Genau die gleichen Sachen wie vorher, sinniere ich. Als wären wir zum ersten Mal zusammen. Sind wir aber nicht – denn wenn ich mir jetzt diese Erinnerungsstücke anschaue, dann bin ich nicht traurig oder sentimental oder voller Reue. Nein, ich muss daran denken, wie ich mich bei Star Wars gelangweilt habe, ganz zu schweigen von dem kompletten Boxset, das ich mir nachher gezwungenermaßen bei Seb ansehen musste; wie ich mir die Ohrenstöpsel so fest in die Ohren gestopft habe, dass sie stecken geblieben sind und ich auf der Heimfahrt kein Wort von dem verstanden habe, was Seb erzählt hat; das Polaroid von der Hochzeit, auf dem wir so verdammt mies gelaunt aussehen, weil uns das Ganze so auf den Keks ging.
Und plötzlich muss ich daran denken, wie ich den Brautstrauß gefangen und wieder zurückgeworfen habe und wie die Braut mich angeguckt hat …
Und dann auf einmal platzt ein lautes Glucksen aus mir heraus und dann noch eins und noch eins, bis mir die Lachtränen übers Gesicht laufen, während ich an all die Begebenheiten denken muss, derentwegen ich die Erinnerungsstücke aufgehoben habe.
Das muss man einfach erlebt haben. Und das habe ich. Zweimal.
Nachdem ich mir die Augen trockengetupft habe, hole ich das Buch und den Tanga wieder aus der Kiste. Die kann ich weggeben. Und der Rest? Umstandslos wandert der ganze Karton in den Müll. Wie gesagt, war ohnehin nur wertloser Krempel.
Drei große Mülltüten, zwei Pappkartons und etliche Stunden später bin ich endlich so weit und schleppe alles zu dem Laden. Ich muss mehrmals gehen, und als ich schließlich alles dorthin gekarrt habe, bin ich total geschafft.
Wohingegen die Frau, die die Sachen in Empfang nimmt, regelrecht aus dem Häuschen ist vor Entzücken.
»Herzlichen Dank, das ist wirklich sooo toll«, schwärmt sie und stürzt sich regelrecht auf meine Sachen, um die Kleider gleich nach Farben zu sortieren. »Ooh, und dieses Strickjäckchen gefällt mir ganz besonders gut.«
Ich schaue auf und sehe, dass sie ein reizendes kleines Mohairjäckchen mit Dreiviertelärmel und Perlknöpfchen hochhält, und plötzlich tut es mir schon wieder leid darum. So geht es mir immer, wenn ich Sachen weggebe. Kaum habe ich sie in den Altkleidersack gesteckt, passiert etwas Merkwürdiges. Hals über Kopf verliebe ich mich wieder in das betreffende Stück und kann nicht mehr ohne es leben.
Schade, dass es keine Altkleidersäcke für Menschen gibt. Damit könnte man doch wunderbar kriselnde Beziehungen kitten: Man steckt seinen Partner einfach in den Altkleidersack, und zack, schon ist man wieder Feuer und Flamme für ihn.
»Ähm, könnten Sie damit vielleicht warten, bis ich weg bin?«, frage ich etwas linkisch.
Sofort nimmt sie das Strickjäckchen wieder runter und drückt es sich an die Brust. »Natürlich, das verstehe ich nur zu gut «, gesteht sie und flüstert dann ganz ernst: »Manchmal hängt man doch sehr an den Dingen, nicht wahr?«
»Ja, tut man«, entgegne ich und versuche, mir ein Lächeln zu verkneifen.
Das Läuten der Türglocke unterbricht uns, und herein kommt eine zierliche, grauhaarige Dame. Die kann kaum größer sein als einen Meter fünfzig, zieht aber einen Einkaufstrolley hinter sich her, der beinahe genauso groß ist wie sie selbst. »Ach bitte, lassen Sie mich doch«, ruft die Chefin, stürzt hin und hält ihr die Tür auf. »Kommen Sie, ich nehme Ihnen das ab …«
»Non, non« , widerspricht die Dame mit unüberhörbarem französischem Akzent, »es geht schon.« Sie schaut mich an und zwinkert mir zu. »Sehr alt, aber noch lange nicht hinüber. Wie ein guter Rotwein.«
Und dann lacht sie glockenhell auf und entblößt zwei Reihen winziger, perfekter und sehr gerader Zähne, die alle noch ihre eigenen sind. Für jemanden in ihrem Alter ist das beachtlich, aber die Dame scheint auch nicht das typische Ömchen von nebenan zu sein. Ganz in Schwarz gekleidet, mit knallrotem Lippenstift, die Haare zu einem eleganten Knoten hochgesteckt, ist sie die Verkörperung von Stil und Schick.
»Ich habe etwas mitgebracht.« Sie öffnet den Einkaufstrolley. Und im Gegensatz zu mir scheint sie keinerlei Zweifel zu kennen, sondern häuft einfach alles auf den Tresen. Und da entdecke ich auch den Mehlsack.
»Die sind von Ihnen!« Das ist also die mysteriöse französische Dame, von der ich schon so viel gehört
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