Der Wunschtraummann
habe.
»Oui« , sagt sie. »Und ich habe noch eine ganze Menge davon.« Sie kramt in ihrem Trolley und zieht einen ganzen Stapel hervor.
»Wow!« Entzückt schnappe ich nach Luft. »Wo kommen die denn alle her?«
»Aus der Zeit, als ich noch ein kleines Mädchen war. Damals lebten wir auf einem Bauernhof …« Sie bricht ab und muss bei der Erinnerung daran lächeln. »Ich habe vieles aus dieser Zeit aufbewahrt, aber jetzt ziehe ich aus meinem Haus aus. Es ist etwas zu groß geworden, jetzt wo meine Kinder erwachsen sind und mein Mann gestorben ist …«
»Oh, das tut mir leid.«
»Non« , sagt sie kopfschüttelnd. »Es ging ihm nicht gut. Es ist besser so. Das Leben ist wie ein Tanz. Ein großer Spaß, aber manchmal wird man dann müde …« Achselzuckend bricht sie wieder ab. »Dann muss man sich ausruhen.«
Als sie von Tanzen spricht, fällt mir das rote Kleid wieder ein, das immer noch da an dem Ständer vor uns hängt. Sie folgt meinem Blick.
»Probieren Sie es doch mal an«, meint sie mit einem aufmunternden Nicken.
»O nein, da passe ich nie im Leben rein«, widerspreche ich ihr.
»Ach was.« Missbilligend schüttelt sie ihren winzigen Vogelkopf und trippelt dann erstaunlich behände hin und nimmt das Kleid vom Bügel. »Ziehen Sie den Mantel aus.«
Ich bin es zwar nicht gewohnt, mich von mir unbekannten, merkwürdigen alten französischen Damen herumkommandieren zu lassen, tue aber wortlos wie mir befohlen.
»Das ist reine Seide, die dehnt sich, sehen Sie?« Und dann rafft sie das Kleid an den Ärmeln und streift mir den Stoff mit den geübten Handgriffen einer Schneiderin über. »Bei mir ist es viel länger, so hat man das in den Fünfzigern getragen … aber an Ihnen – parfait !«
Mit einer zufriedenen schwungvollen Geste tritt sie zurück, und dann betrachten wir mich beide im Spiegel, der gegenüber an der Wand lehnt. Drunter trage ich noch Jeans und T-Shirt und dazu abgewetzte alte Turnschuhe, und die Haare habe ich zum Pferdeschwanz zusammengebunden, aber das Kleid ist so zauberhaft, dass alles andere dagegen verblasst.
Alles Störende verschwindet, und ich sehe nur noch den in verschwenderische Falten gelegten luxuriösen Stoff, der sich an meine Figur schmiegt und meine Kurven umschmeichelt, und rieche den Duft von Parfum und längst vergangenen Zeiten, und für einen herrlichen kurzen Augenblick bin ich im Paris der fünfziger Jahre, auf einer Tanzfläche, während im Hintergrund ein Salonorchester aufspielt …
»Jetzt brauchen Sie nur noch jemanden, der mit Ihnen tanzt«, meint die Ladenchefin anerkennend.
Jäh aus meinen Tagträumen gerissen lande ich wieder in Hammersmith, wo gerade Rihanna im Radio läuft.
»Ähm, ja …«, sage ich und nicke ein bisschen beschämt.
»Bestimmt gibt es genug junge Männer, die sich darum reißen, mit ihr zu tanzen«, erklärt die alte Dame fröhlich und schaut die Chefin an. »Wissen Sie noch, damals, als wir jung waren? Wir konnten uns kaum retten vor Verehrern, n’est-ce pas ?«
Woraufhin die nette Ladenchefin, die ihre Jugend zweifellos der Organisation von Kirchenbasaren gewidmet hat, jäh errötet. Ganz zu schweigen davon, dass sie sicher zwanzig Jahre jünger ist als die alte Dame, war sie sicher beim anderen Geschlecht nicht halb so beliebt wie die charmante Französin mit dem roten Lippenstift und dem aparten Seidenkleid.
»Na ja, ich weiß nicht …«, wehrt sie mit einem peinlich berührten Lachen ab und weicht dem Blick der alten Dame aus. Stattdessen schaut sie mich an. »Also dann – wie möchten Sie das Prachtstück denn gerne bezahlen?«
Achtunddreißigstes Kapitel
Nachdem ich das rote Kleid und die restlichen Mehlsäcke erstanden habe, verlasse ich den Laden und mache mich auf den Weg nach Hause. Dabei lege ich noch einen kleinen Umweg ein. Na ja, eigentlich ist es weniger ein Umweg als vielmehr ein ganz anderer Weg. Aber ich kann nicht anders, ich habe schon alles versucht. In Shepherd’s Bush biege ich in eine kleine Straße ein, laufe den Bürgersteig entlang und zähle still die Häuser, bis ich vor dem gesuchten stehe.
Nummer vierundsiebzig.
Fergus’ Adresse.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich vor dem roten Backsteingebäude stehen bleibe. In den letzten Tagen konnte ich an nichts anderes denken als an Fergus und was zwischen uns passiert ist. Ich fühle mich immer noch furchtbar, weil ich ihm so wehgetan habe, und ich kann es ihm nicht verübeln, dass er wütend auf mich ist, aber ich muss endlich
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