Der Wunschtraummann
bevor ich zur Arbeit gegangen bin, und wie ausweichend sie war und wie sie mir nicht mal in die Augen schauen wollte, wird mir ganz mulmig. Vielleicht hätte ich sie auf der Stelle geradeheraus fragen sollen, was los ist, aber ehrlich gesagt, wollte ich es gar nicht wissen. Himmel, ich hoffe bloß, sie will die Wohnung nicht verkaufen und ich muss ausziehen. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig, denn in zwei Wochen bin ich arbeitslos. Aber andererseits, heißt es nicht immer, aller guten Dinge sind drei? Wieso sollte das nicht auch für die schlechten Dinge gelten? Kein Freund, kein Job und nun auch keine Wohnung?
Wobei das natürlich nicht alles schlecht ist. Die Trennung von Seb war das einzig Richtige, und eigentlich wollte ich ja auch nie als Assistentin der Geschäftsführung Karriere machen, aber trotzdem, es wäre wirklich ein dreifaches Pech. Und außerdem, trotz der stets überquellenden Aschenbecher, der bizarren Lebensmittelreste in diversen Töpfen und der Tatsache, dass Fiona es bis heute nicht geschafft hat, das Schloss an der Badezimmertür reparieren zu lassen, mag ich diese Wohnung sehr.
Schließlich bin ich fertig mit dem Wimperntuschen, trete einen Schritt zurück und betrachte prüfend mein Spiegelbild. Ich trage das rote Seidenkleid, und jetzt, wo ich keine Jeans drunter anhabe, muss ich der alten Dame recht geben: Es passt wirklich wie angegossen. Vergnügt summe ich das Lied aus dem Radio mit, drehe eine kleine Pirouette und beobachte, wie die in Falten gelegte Seide sich bauscht und aufgeht wie ein Sonnenschirm. Dann bleibe ich stehen, und der Stoff schmiegt sich wieder um meine Beine – Moment mal, was summe ich denn da für ein Lied?
Sind das …?
Die Nolans mit »I’m in the Mood for Dancing«.
Und auf einmal muss ich wieder an Fergus denken. Wegen der Party hatte ich so viel um die Ohren, dass ich nicht zum Nachdenken gekommen bin. Aber jetzt gibt es nichts, was mich davon abhält, an ihn zu denken, und plötzlich ist alles wieder da. Auf meinen Zettel hat er nicht reagiert. Irgendwie hatte ich das auch gar nicht erwartet. Ich dachte bloß, es sei einen Versuch wert. Und trotzdem frage ich mich nun, ob er heute Abend womöglich auch kommt. Ich meine, schließlich hat er genau wie alle anderen Kurierfahrer, die Sir Richard regelmäßig beschäftigt, ebenfalls eine Einladung bekommen. Ganz tief drinnen flackert ein kleiner Hoffnungsschimmer auf. Vielleicht, nur vielleicht …
Himmel, ist es wirklich schon so spät? Mit einem entsetzten Blick auf den Wecker reiße ich mich zusammen. Schnell nehme ich meinen Mantel und schnappe mir die goldene Clutch. Doch dann zögere ich. Die ist eigentlich zu klein, da kriege ich gar nicht alles rein. Ich weiß, ich nehme meine selbstgemachte Tasche.
Meine Tasche .
Bei dem Gedanken könnte ich platzen vor Stolz. Nach wochenlanger Feinarbeit ist sie letzte Woche endlich fertig geworden, und ich muss sagen, auch wenn Eigenlob stinkt, sie ist echt toll. Die Ledergriffe aus den Riemen der alten Latzhose verleihen ihr so ein herrlich altmodisches Flair, und dann das Seidenband und die Stickerei und die Perlmuttknöpfe und … na ja, ehrlich gesagt, ich könnte stundenlang davon schwärmen. Aber viel wichtiger ist, wo ist sie?
Hektisch durchforste ich mein Zimmer auf der Suche nach dem guten Stück. Mist, wenn ich so weitermache und sie nicht bald finde, komme ich zu spät! Jetzt, wo ich nicht mehr mit Seb zusammen bin, habe ich meine beiden Uhren wieder abgelegt, und seitdem geht es den Bach runter mit meiner Pünktlichkeit, und ich komme wie gewohnt überall zehn Minuten zu spät. »Hey, Fiona«, rufe ich, »hast du vielleicht meine Tasche gesehen?«
»Was?« Fragend steckt sie den Kopf aus ihrem Zimmer. Sie trägt ein enges schwarzes Cocktailkleid und mördermäßig hohe Highheels.
»Wow, du siehst umwerfend aus!« Fiona sieht zwar immer toll aus, wenn sie ausgeht, aber heute Abend scheint sie quasi von innen zu leuchten. So habe ich sie noch nie gesehen.
»Danke«, kichert sie fröhlich. »Du aber auch.«
Ich lächele dankbar. Nach der Trennung von Seb hat sie sich ganz wunderbar um mich gekümmert. Sie hat mir keine Vorwürfe gemacht und auch nicht versucht, mich nach Einzelheiten auszuquetschen, sondern mich einfach nur tröstend in den Arm genommen und mir gesagt, so gut habe er ohnehin nicht ausgesehen, und sie sei sich sicher, er habe überkronte Zähne. Und ganz süß war auch, dass sie mir netterweise eine Zeitschrift mit einem Artikel
Weitere Kostenlose Bücher