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Der Wunschtraummann

Der Wunschtraummann

Titel: Der Wunschtraummann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Potter
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flitze ich schnell den Gang hinunter.
    »Und würden Sie Ihren Großvater freundlicherweise daran erinnern, dass Glücksspiel hier strengstens verboten ist!«, ruft Miss Temple mir noch nach, aber da bin ich zum Glück schon durch die Feuerschutztür und kann tun, als hätte ich es nicht gehört.

Siebtes Kapitel
    Die Tür zu Großvaters Zimmer ist fest verschlossen. Richtig abgeschlossen sogar, merke ich, als ich die Klinke runterdrücke. Ich klopfe leise.
    »Hauen Sie ab«, krakeelt es von drinnen. »Ich habe zu tun.«
    Wie es scheint, ist mein Opa nicht allzu begeistert von der Idee der »offenen Türen« und dem Gemeinschaftssinn, wie sie in der Broschüre von Hemmingway House so begeistert angepriesen werden.
    Ich klopfe noch mal vorsichtig. »Ich bin’s, Tess«, zische ich.
    Drinnen ist alles still, dann höre ich es rascheln, und die Tür wird unvermittelt schwungvoll aufgerissen. Dahinter steht ein Mann mit schlohweißem Haar und von Lachfältchen umkränzten blauen Augen. Tadellos gekleidet in einem grauen Nadelstreifenanzug mit seidenem Einstecktuch, einer goldenen Taschenuhr, die an einer Kette in der Tasche seiner adrett zugeknöpften Weste steckt, und auf Hochglanz polierten Schnürschuhen. Er macht eine großartige Figur. Was nicht weiter verwunderlich ist. Schließlich reden wir hier von Sidney Archibald Connelly, beinahe fünfzig Jahre lang einer der renommiertesten Herrenschneider der Savile Row.
    Für mich ist er allerdings bloß mein Opa.
    »Hallo, meine Hübsche.« Er strahlt über das ganze Gesicht, als er mich sieht. »Was für eine schöne Überraschung.«
    »Frohes neues Jahr«, rufe ich fröhlich und atme den vertrauten Geruch nach Pfeifenrauch und Aftershave ein, als ich ihn umarme. Schnell lässt er mich herein. Er ist allein, aber alles weist darauf hin, dass hier eben noch Poker gespielt wurde: Auf dem Tisch liegen ordentlich aufgestapelte Spielkarten, daneben stehen vier Schnapsgläser sowie eine halbvolle Flasche Blackstock & White-Whisky.
    »Ich soll dir sagen, dass Glücksspiel hier verboten ist«, setze ich an, aber er schnaubt bloß abfällig.
    »Pah, wer sagt das?«, fällt er mir ins Wort und geht schwer auf seinen Stock gestützt hinüber zu dem Chesterfield-Sofa, das in eine Ecke des Raums gezwängt ist. Eigentlich ist es viel zu groß für diesen Raum, aber er hat darauf bestanden, es mitzubringen. Genau wie die Schneiderpuppe, das gerahmte Bild der Queen von ihrem Thronjubiläum 1977 und seine heißgeliebte Nähmaschine, die einen Ehrenplatz auf der Anrichte bekommen hat, stammt es aus seiner Werkstatt.
    Langsam setzt er sich auf die durchgesessenen Polster, die, meinem Großvater zufolge, schon die Kehrseiten vieler bekannter Männer gesehen haben – »sämtliche Bonds waren hier, Sean Connery, Roger Moore und sogar dieser Craig« –, und klopft dann auf den Platz neben sich, um mir zu bedeuten, ich solle mich zu ihm setzen. »Das ganze Leben ist ein Glücksspiel«, sagt er und schnalzt mit der Zunge.
    »Ich weiß, aber wenn du hier immer wieder Schwierigkeiten machst …«
    »Was wollen die dann machen? Mich vor die Tür setzen?« Der Gedanke scheint ihn zu entzücken. Opa hat nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr es ihm gegen den Strich geht, im Altenheim zu wohnen, und sein eigensinniger Sturkopf und sein starker Unabhängigkeitssinn wehren sich hartnäckig gegen jede Art der Bevormundung.
    Aber nachdem Nan gestorben war, kam er allein einfach nicht mehr zurecht. Mit zwei künstlichen Hüftgelenken und dem unguten Hang, den Gasherd nicht zuzudrehen (»Aber ich hätte schwören können, dass ich ihn abgedreht habe!«), entwickelte er sich langsam, aber sicher zu einer Gefahr für sich selbst und seine Umwelt, sodass er im vergangenen Jahr widerstrebend nach Hemmingway House umgezogen ist.
    »Ich kann mir genau vorstellen, was für ein Gesicht diese Temple wieder gemacht hat«, meint er glucksend, greift nach der Tüte mit den Fruchtgummis und raschelt damit vor meiner Nase herum. »Die sieht immer aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Entweder das, oder als hätte sie sich gerade mit dem Hintern auf was Spitzes gesetzt …«
    »Opa, kann ich dich um einen Gefallen bitten?« Schnell wechsele ich das Thema weg von Miss Temples Kehrseite, setze mich neben ihn und stecke die Hand tief in die Tüte.
    »Na los, sag schon, wie viel?«, brummt er liebevoll, legt die Fruchtgummis beiseite und zieht sein Portemonnaie aus der Tasche.
    »Oh, nein, ich brauch kein Geld«,

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