Der Wunschtraummann
gebracht hat. Mein Vater ist kein Landwirt, er ist ein pensionierter Lehrer. Aber dem Verhalten meines Vaters mit Logik beikommen zu wollen wäre, als wolle man Lady Gagas Garderobe mit praktischem Nutzen erklären. Ein Ding der Unmöglichkeit.)
Wenn Opa und der neue Freund jedoch zusammentreffen, sollte das eigentlich eine nette, herzerwärmende Angelegenheit sein, bei der der Großvater von den guten alten Zeiten schwärmt und allen aufgewärmten Tee und Kuchen aus der Packung serviert. Was nicht passieren sollte, ist, dass Opa den neuen Freund zu einer Partie Poker herausfordert, ihn bezüglich seiner »Absichten« ins Kreuzverhör nimmt und dann eine eindringliche Warnung ausspricht, er solle sich bloß nicht beim Betrügen erwischen lassen, wobei er mit einer antiken Pistole herumfuchtelt.
»Aber natürlich nicht, Mr Connelly, so was würde ich Tess niemals antun«, hatte Seb alarmiert gestammelt.
»Ich meinte nicht meine Enkeltochter, ich meinte das Kartenspiel«, hatte mein Großvater darauf erwidert und ihn durchdringend angestarrt.
Es war alles sehr nervenaufreibend. Und das Schlimmste war, als dann die Pflegerinnen hereinkamen und die Pistole als gefährliche Handfeuerwaffe konfiszierten und Seb anschließend die nächsten beiden Spiele gewann. Ich weiß nicht so recht, was für meinen Opa schlimmer war, die Pistole zu verlieren oder das Pokerspiel, aber so oder so war er nicht besonders angetan. Weshalb ich die ganze Geschichte auch nie wieder angesprochen habe, da ich dachte, es sei das Beste, wir würden die Sache einfach vergessen.
Was nun, wie es aussieht, tatsächlich der Fall ist. Er hat sie vergessen. Vollkommen .
»Sebastian? Ich kenne keinen Sebastian!«, tönt mein Opa und stochert mit dem Pfeifenreiniger in seiner Pfeife herum, als handele es sich dabei um eine tödliche Waffe.
Ein leichtes Panikgefühl kommt in mir auf. Dass er das unselige Pokerspiel vergessen hat, ist das eine, aber dass er Seb gleich mit vergisst, ist eine ganz andere Geschichte. Doch das Gedächtnis meines Opas lässt in letzter Zeit ohnehin sehr zu wünschen übrig. Zuerst dachten wir, es liege einfach am Alter, aber vor ein paar Wochen, kurz bevor Mum und Dad nach Australien geflogen sind, haben sie ihn besucht, und da hat eine der Pflegerinnen sie anschließend beiseitegenommen. Wie es aussieht, ist dem Pflegepersonal aufgefallen, dass er immer vergesslicher wird und manchmal etwas verwirrt ist, und sie fürchten, das könnten die ersten frühen Anzeichen einer Erkrankung sein. Es wurde uns sogar nahegelegt, ihn einem Arzt vorzustellen.
Als Mum mir das erzählte, wurde ich richtig fuchsig und wollte es einfach nicht glauben. Ich habe ihr gesagt, es ist ja nicht so, als wüsste er nicht, wer ich bin. Manchmal fällt ihm mein Name nur nicht auf Anhieb ein. Das ist halb so wild. Viele Menschen haben ein schlechtes Namensgedächtnis.
Aber so langsam frage ich mich, ob vielleicht doch was dran ist. Ob etwas Schlimmeres dahintersteckt, vor dem ich hartnäckig die Augen verschließe.
»Doch, hast du, der Amerikaner, weißt du nicht mehr?«, hake ich vorsichtig nach. Bloß ist sein lückenhaftes Gedächtnis momentan nicht das Einzige, was mir zu schaffen macht. Ich habe gerade ein Déjà-vu-Erlebnis und fühle mich lebhaft an gestern und an Fiona erinnert.
»Uuui, ein Amerikaner?«, quietscht Phyllis. »Im Krieg hatte ich auch mal ein Techtelmechtel mit einem Amerikaner. Johnny James hieß er; ein groß gewachsener Kerl mit leuchtend roten Haaren und einem Lachen, so groß wie ganz Texas. Er hat mir immer Strümpfe mitgebracht, damit ich mir keine Nähte auf die Beine malen musste …« Sie bricht ab und schwelgt stumm in Erinnerungen.
Mein Opa wirft ihr einen Blick zu, dem deutlich anzusehen ist, dass er nichts von Johnny James und seinen Strümpfen hören will.
Verblüffenderweise kommt die Botschaft bei Phyllis an. »Tja, ich gehe dann wohl mal lieber«, sagt sie rasch. »Ich habe noch einen Kissenbezug zu besticken.« Und damit zwinkert sie mir zu, drückt kurz meine Hand und ist auch schon verschwunden.
Worauf ich mich wieder zu meinem Opa umdrehe. »Ihr habt Poker gespielt … und er hat gewonnen«, versuche ich abermals mein Glück. Die aufkeimende Angst beginnt langsam wild zu wuchern.
Opa Connelly wirkt völlig perplex. »Also, mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut wie früher«, gesteht er, »aber daran würde ich mich doch erinnern.« Er reicht mir den gebrauchten Pfeifenreiniger, worauf ich wortlos
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