Der Wunschtraummann
entdeckt habe und der wirklich entzückend aussieht, im Dreißiger-Jahre-Stil, aus geschwungenem Nussbaumholz und mit filigranen Einlegearbeiten. Leider ist er schrecklich unpraktisch, weil er viel zu schmal ist für moderne Kleiderbügel und man alles schräg hineinstopfen muss.
Was im Umkehrschluss bedeutet, dass alles, was man herausholt, nur noch ein zerknüllter Stoffhaufen ist.
Trübsinnig betrachte ich mein blaues Seidenkleid, das nun eher wie ein altes Spültuch aussieht, und versuche schnell im Kopf zu überschlagen, wie lange es wohl dauern würde, es zu bügeln: Bügelbrett suchen (5 min); Kampf, bis es endlich aufgestellt ist (5 min); aufgeben und im Badezimmer Handtücher auf den Boden legen (2 min); Wassertank auffüllen und warten, bis das Eisen heiß ist (4 min); das Kleid mit Wasser einsauen, das aus dem Eisen läuft, weil man nicht lange genug gewartet hat und das mit dem Dampf noch nicht funktioniert (3 min); das Eisen noch heißer stellen (2 min), es noch mal probieren und einsehen müssen, dass das Eisen jetzt zu heiß ist und wie Kaugummi an der Seide festklebt (2 min); entsetzt den grässlichen Brandfleck auf dem Kleid anstarren und sich fragen, ob man es vielleicht mit einer Brosche kaschieren kann (1 min); es anprobieren und feststellen müssen, dass man statt sexy-lasziv wie eigentlich beabsichtigt eher aussieht wie eine trutschige Oma (3 min).
Mist. Ich bin zwar eine Niete im Kopfrechnen, aber das sind verdammt viele Minuten, und dann habe ich immer noch nichts zum Anziehen.
Einen Moment lang stehe ich wie erstarrt vor meinem Schrank und spüre die Uhr in meinem Nacken ticken, aber dann kommt mir ein unverhoffter Geistesblitz. Moment, Augenblick mal. Schnell schnappe ich mir die Seiten meines alten Tagebuchs und überfliege rasch den Eintrag:
… hatte meine Jeans an und ein rosa Chiffontop, das ich in einem Secondhandladen gefunden habe. Es wirkte ein bisschen altbacken, also habe ich die Ärmel gekürzt und vorne winzige Perlmuttknöpfchen angenäht (natürlich mit Opas Hilfe). Seb meinte, es sieht hinreißend aus. Allerdings war es ein GROSSER Fehler, meine neuen hochhackigen Stiefel zu tragen. Ich konnte kaum darin laufen, und die Bar war meilenweit von der U-Bahn-Station entfernt. Weshalb ich am Ende viel zu spät und mit hochrotem Gesicht dort ankam und obendrein Blasen an den Zehen hatte …
Genial! Dann weiß ich ja jetzt, was ich anziehe.
Zielstrebig durchforste ich meinen Schrank, bis ich das Chiffontop gefunden habe, und hole dann meine heißgeliebte Jeans heraus. Ich muss ja nicht alles anders machen, vor allem nicht, wenn es auf Anhieb so ein Hit war. Ich ändere nur das, was nicht so toll war. Wie beispielsweise diese vermaledeiten Stiefel, überlege ich. Also stopfe ich die Hochhackigen wieder in den Schuhständer und krame stattdessen meine flachen Stiefeletten heraus.
Zwanzig Minuten später habe ich mir die Haare gefönt, mich geschminkt und Bluse und Jeans angezogen. Prima, ich bin so weit. Jetzt muss ich nur noch mal schnell in den Spiegel schauen, ob alles okay ist. Leider habe ich keinen Standspiegel, sondern nur den kleinen oben auf dem Kaminsims, weshalb ich wie immer zu einem kleinen Trick greifen muss. Ich stelle mich auf das Bett und biege und verrenke mich, um so jedes Körperteil in Augenschein zu nehmen.
Tja, eigentlich sehen die alle ganz okay aus. Einzeln. Ich bücke mich, um den Ausschnitt meiner Bluse zu begutachten, dann hopse ich auf und nieder und balanciere auf einem Bein, hebe das andere und wackele damit vor dem Spiegel herum … Ich bin mir bloß nicht so sicher, wie das alles zusammen aussieht. Schließlich ist es schon ein Weilchen her, seit ich die Sachen das letzte Mal zusammen anhatte, und zwischen mir und meiner Jeans stehen inzwischen mehrere Teller Weihnachtskekse.
Ganz zu schweigen von Fionas Familienpackung Quality- Street-Konfekt.
Bei dem Gedanken überkommt mich ein Anflug von Reue. Meine größte Schwäche sind die rosa Schokofondant-Bonbons. Wobei ich gleich dazu sagen muss, dass ich nicht allein für ihr Verschwinden verantwortlich bin. Seit sie die Dose von ihren Großeltern geschenkt bekommen hat, liegen mysteriöserweise in der ganzen Wohnung verteilt kleine glitzernde Folienknäuel herum. Ich sage mysteriöserweise, weil Fiona gerade mal wieder eine ihrer irren Diäten macht und steif und fest behauptet, sie habe nicht das Geringste damit zu tun. Leugnen und Verdrängen, mehr sage ich dazu nicht.
Und wo wir gerade bei
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