Der Wunschtraummann
knapp zehn Meilen«, sage ich und werfe einfach wahllos eine Zahl in den Raum.
»Wow, das ist aber viel!« Er klingt ehrlich beeindruckt.
»Ja, oder?«, stimme ich ihm zu. O Gott, warum habe ich bloß zehn Meilen gesagt? Drei hätten es doch auch getan.
»Du bist bestimmt ganz verschwitzt«, meint er spitzbübisch.
»Sehr«, entgegne ich und spiele mit. Wieso mache ich mir überhaupt Sorgen? Ich hätte auch behaupten können, einen Marathon gelaufen zu sein, schließlich ist Seb in Genf und wird es nie erfahren. Und am Montag beginnt mein Training. Es ist also nicht alles geschwindelt. Ich greife dem Lauf der Dinge nur ein wenig vor. Denn ich habe durchaus vor, irgendwann zehn Meilen zu laufen. Ich muss bloß vorher noch ein bisschen üben.
»Dann musst du bestimmt schnell unter die Dusche, oder?«, fragt er weiter.
»Na ja, zuerst muss ich mich mal ausziehen«, antworte ich kokett.
»Du meinst, ganz nackt?«
»Splitterfasernackt. Nur ich und ein Stück Seife.«
»Mmm, sexy«, brummt er und lacht.
»Und, wie war dein Meeting?«, frage ich und versuche, das Gespräch wieder in geregelte Bahnen zu lenken, ehe es zu unanständig wird.
»Fabelhaft«, ruft er begeistert. »Wir haben den Deal eingetütet.«
»Oh, das ist ja toll«, sage ich. Ich bin richtig stolz auf ihn. Zwar werde ich wohl nie verstehen, was genau Seb in der verwirrenden Finanzwelt macht, aber ich weiß, was immer es ist, er macht es verdammt gut. »Und wie feiert ihr das jetzt?«
»Indem ich dich zum Essen einlade«, witzelt er.
»Haha, sehr komisch«, gebe ich zurück.
»Was ist denn daran so komisch?«, fragt er.
»Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, ich bin nicht in Genf.«
»Ich auch nicht.«
»Nicht?« Ich bin etwas verdattert.
»Nein, ich bin nach Hause geflogen, weil ich dich sehen wollte.«
»Bist du?« Vor Schreck fahre ich auf und setze mich kerzengerade hin, sodass Flea mir vom Schoß fällt, was er mit einem missgelaunten Miauen quittiert.
»Ja, ich fahre gerade vom Flughafen in die Stadt und komme ohne Umwege direkt zu dir. Hausnummer siebenundzwanzig, richtig?«
Mir verschlägt es erst mal die Sprache. »Ähm … ja«, bringe ich schließlich krächzend hervor. »Und wo genau bist du gerade?« Das klingt nach einer ganz unverfänglichen Frage, aber eigentlich ist es nur der verzweifelte Versuch auszuloten, wie viel Zeit mir noch bleibt. Eine Stunde, dann kann ich mich duschen, mir die Haare waschen und fönen und mein Kleid bügeln. Eine Dreiviertelstunde, dann habe ich die Wahl zwischen nassen Haaren und einem zerknitterten Kleid. Weniger als eine halbe Stunde, und mir droht beides. Eine Viertelstunde und …
»Ich stehe schon vor der Tür.«
Ich bin erledigt.
Unvermittelt schrillt die Türklingel, und ich falle vor Schreck fast vom Sofa.
Verfluchter Mist!
»Ja, ähm, stimmt«, sage ich, schlucke schwer und versuche dabei, ganz ruhig und gelassen zu klingen, während eine Stimme in meinem Kopf hysterisch kreischt: Du hast ihm erzählt, du kämst gerade vom Military-Fitness! Du hast ihm erzählt, du seiest zehn Meilen gelaufen! Du hast ihm gesagt, du seiest ganz erhitzt und verschwitzt und müsstest dringend unter die Dusche! Mein Blick wandert an mir herunter, wie ich in Jeans und Schaffellpantoffeln auf dem Sofa herumlümmele, eine Tasse Tee im Schoß. Selbst mit viel Mühe könnte ich kaum weniger danach aussehen, als sei ich gerade zehn Meilen gelaufen.
»Komm einfach hoch. Oberster Stock. Wohnung sieben.«
Muss ich aber . Und zwar in nicht mal drei Minuten!
Arggghh. Hastig lege ich auf, springe vom Sofa und reiße mir im Laufen die Kleider vom Leib. Splitternackt renne ich dann panisch durch die ganze Wohnung, verstecke jeden Hinweis auf Teetassen, Einkaufstüten und oben erwähnte Kleidung und zwänge mich hektisch in meine neue Leggins, den Sport- BH und die Schweißbänder. Dann schnüre ich meine Laufschuhe, sprinte zum Spiegel im Flur und begutachte mein Spiegelbild. Nur eins fehlt noch …
Eilig stürze ich ins Badezimmer, reiße den Wäscheschrank auf und schnappe mir die Sprühflasche, die immer neben dem Bügeleisen steht. Wie irre sprühe ich mir damit ins Gesicht und auf die Brust, damit es aussieht, als sei ich völlig verschwitzt.
Und dann höre ich es, während ich noch herumspritze, plötzlich klopfen. O Gott, er ist da!
Panisch sprinte ich in den Flur und öffne ihm die Tür, und da bin ich dann tatsächlich außer Atem.
»Hey, sieh einer an, du bist ja ganz verschwitzt«, meint
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