Der Wunschzettelzauber
antwortete Chloe mit einem raschen Seitenblick auf Guillaume, der sich mit Steve in ein Gespräch über den Einfluss des Wetters auf die Weine im Burgund vertieft hatte. Er würde für eine Weile beschäftigt sein.
»Das ist richtig. Kennst du Charlies Nachnamen?«
»Nein, nie gehört. Ich habe noch kaum ein Wort mit dem Typ gewechselt.«
»Er lautet Kessler.«
»Ach.« Der erste Gedanke, der Chloe durch den Kopf schoss, war, dass sie sich bei Charlies Frau geirrt hatte. Sie hatte angenommen, dass Kessler ihr eigener Name war, aber das war falsch. Es war Charlies Name. Karen hatte ihren angeheirateten Namen auch nach der Scheidung beibehalten. Sie waren nie wirklich auseinander gewesen. Giles hatte recht gehabt.
Nach diesem letzten Besuch bei Giles und Hendrik hatte Chloe zu Hause schamerfüllt Karen Kessler gegoogelt, aber nur die Fotos angesehen. Selbstquälerisch hatte sie Charlies wunderschöne Frau eine ganze Weile lang studiert, Bild um Bild, mit ihrem rabenschwarzen, straff zurückgekämmten Haar. Sie war mal als Clown verkleidet, mal tänzelte sie in einem asymmetrischen Ballettanzug auf den FuÃspitzen, die Arme erhoben. Wenn man die Mutter näher betrachtete, wurde klar, dass die kleine Katie eine sehr ausgewogene Mischung ihrer Eltern war: Sie hatte Charlies dunkle Augen und den blassen Teint, und von Karen das Strahlen und das herzförmige Gesicht. Und Charlie, Karen und Katie mussten wieder vereint werden, das war so klar wie KloÃbrühe.
»Chloe, hallo?«, störte Sally sie aus ihren Gedanken auf. »Du erinnerst dich doch, DER Kessler?«
Und da fiel bei Chloe plötzlich der Groschen. Sie sah »Das Bett« vor sich, das Gemälde, das sie in der Tate Modern so oft betrachtet hatte, als Nicolas noch ein Baby war. Dieses farbenprächtige Bild eines Paares, das sich zwischen den Bettdecken umarmte. Das Gemälde von Evan C. Kessler. Sie hatte immer vorgehabt, es sich gelegentlich wieder anzusehen, war aber immer zu beschäftigt gewesen. »Du meinst den Künstler?«, fragte sie ungläubig.
»Ja. Philip und ich, wir sind beide groÃe Fans von ihm.«
»Ich liebe vor allem seine frühen Porträts«, stimmte Philip zu. »Es gibt da ein paar wirklich Schöne mit einem winzigen Schädel im Bild versteckt.«
»Der Hammer!«, meinte Sally. »Einfach krass.«
»Ja«, gab Philip zu, »aber ich finde, dieser Schädel hat auch etwas Besonderes. Gibt dem Werk den Touch von Vanitas. Wie die Schädel in diesen wunderschönen flämischen Vanitas-Stillleben. Soll die Vergänglichkeit des Lebens symbolisieren.«
»Wie habt ihr das herausgefunden?«, erkundigte sich Chloe.
»Nachdem ich von den Darmbakterien gehört hatte«, erklärte Philip, »bin ich zu einer Probe gegangen und wurde auch Karen vorgestellt â erinnerst du dich, dass sie in der Vorstellung mitspielte? Sie war die Tänzerin in dem Zimmer mit dem Kamin, durch den du kriechen musstest.«
Chloe konnte sich sehr wohl erinnern. Also war sie an jenem Tag Charlies Frau von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden und hatte sogar intuitiv eine Art persönliche Verbindung zu ihr empfunden. Es wurde immer seltsamer.
»Na ja, jedenfalls unterhielt ich mich mit ihr, und da tauchte Charlie mit Katie auf. Karen stellte ihn groà vor, nannte ihn Evan C., lieà eine Bemerkung über seinen Turner-Preis fallen und über die Galerie in Hoxton, in der er früher ausgestellt hatte. Ich glaube, sie wollte ihn einfach nur provozieren. Sie gehört zu den Frauen, die so etwas genieÃen. Charlie lieà sich nicht viel anmerken, aber ich sah trotzdem, dass er sauer war. Er sagte sehr abweisend, dass er diese Phase seiner Karriere schon lange hinter sich gelassen habe und nicht gern daran erinnert werden wolle. Karen lachte nur darüber und sagte, dass dieses reservierte Getue kindischer Unfug sei und dass er niemanden täuschen könne. Es sei seine eigene Schuld, dass er nicht mehr aus sich gemacht habe. Dann starrten sie sich wütend an. Charlie fragte mich sehr höflich, ob ich eine Weile auf Katie aufpassen könne, und dann verschwanden er und Karen, und ich nehme an, sie hatten einen ziemlich heftigen Streit.«
Mit gröÃter Willensanstrengung zwang Chloe sich, ihre Aufmerksamkeit von Philips Geschichte weg und auf Guillaume zu lenken, der einen Blick auf seine Armbanduhr
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