Der Wunschzettelzauber
übernachtet, und ihre Mum wollte ihn zum Kindergarten bringen.
Sie stemmte sich auf die Ellbogen und fluchte innerlich, als der Schmerz wie ein Vorschlaghammer von allen Seiten gleichzeitig auf ihren Schädel eindrosch.
Wein.
Sie hatte gestern Abend Wein getrunken. Zuerst ein paar Gläser Rotwein mit Bruno, und dann was? Langsam kam ihr die Erinnerung. Als Bruno gegangen war, hatte sie beschlossen, sich an der Theke eine Flasche Prosecco zu holen. Daran erinnerte sie sich in aller Klarheit. Sie hatte es für eine glänzende Idee gehalten, und auch â kicher kicher â für einen ausgezeichneten Witz. Dann hatte sie sich in ihrem kurzen blauen Kleid, die Flasche in der einen Hand und zwei Gläser in der anderen, im Wiegeschritt langsam, aber entschlossen Charlies Tisch genähert.
Nein! Das hatte sie doch nicht wirklich getan, oder? Doch, das hatte sie.
Sehr sachte setzte sich Chloe in ihrem Bett auf. Auf dem Nachttischchen befanden sich mehrere Dinge. Sie schielte ein wenig, dann konzentrierte sie sich. Da stand ein groÃes Glas Wasser, und daran klebte ein gelber Post-it-Zettel, auf dem â wessen elegante Handschrift war das? â geschrieben stand: Trink mich, Chloe . Zwei Ibuprofen-Tabletten lagen auf einem Untertellerchen, und auf einem weiteren Post-it stand: Schluck mich, Chloe . Sehr fürsorglich.
Ein rascher Rundblick bestätigte, dass weder auf dem Tisch noch auf dem Boden in der Nähe des Bettes eine Kondom-Zellophanhülle zu finden war. Das musste doch wohl ein gutes Zeichen sein, oder? Ein sehr gutes Zeichen.
AuÃer natürlich ⦠Nein, denk nicht an so was.
Doch! Denk über alles ganz genau nach. Was war eigentlich passiert?
Jammernd ordnete Chloe ihre Kissen zu einer Art Nest und lieà sich sehr vorsichtig darauf nieder. Ohne den Kopf zu wenden, streckte sie die Hand nach den Schmerztabletten aus, schob sie sich in den Mund und trank das Wasser in langsamen, vorsichtigen Schlückchen aus.
Arbeit. Sie musste zur Arbeit. Bruno würde erwarten, dass sie kam. Tja.
Es war ein Kampf gegen die Schmerzen, sich zur Arbeit fertig zu machen, und sie vermied es, sich allzu genau im Spiegel zu betrachten. Es war doch immer das Gleiche nach einem feuchtfröhlichen Abend. (So wollte sie es im Augenblick nennen, und später, wenn sie angezogen und auf dem Weg zur Arbeit war, ihr Gedächtnis weiter durchforschen.) Das Dumme war, dass sie sich in eine Muppet-Puppe verwandelt hatte â genauer gesagt in den rothaarigen, glotzäugigen, quiekenden Beaker, den leidenden Assistenten des Prof. Dr. Honigtau Bunsenbrenner aus der Muppet Show . Ihr Kopf fühlte sich an, als sei er mit Schaumstoff gefüllt.
Egal. Sie musste los. Sie würde vielleicht später, während der Arbeit, versuchen, ein Stückchen trockenen Toast zu sich zu nehmen. Schuhe? Angezogen. Mantel? Auch. Tasche? Ja. Schlüssel? In der Hand. Sie schloss die Haustür sehr ruhig hinter sich und begann, langsam zu gehen, indem sie die uralte Methode anwandte, einen Fuà vor den anderen zu setzen.
Tja. Also. Gestern Abend.
Sie war mit dem Prosecco durch das Unicorn getänzelt, hatte die kleine Nische betreten, und dann hatte sie ⦠was hatte sie gesagt?
»Hallo, Mr Kessler.«
Charlie hatte aufgeblickt und gelächelt. Dann hatte er sein Buch auf den Tisch gelegt, neben seinen Whisky.
»Hallo, Chloe. Was haben Sie denn da vor?«, fragte er und sah zu, wie sie Flasche und Gläser auf seinem Tisch abstellte. »Gibt es etwas zu feiern?«
»Ich weià nicht«, erwiderte Chloe mit rätselhaftem Lächeln und setzte sich neben ihn. Abgesehen davon, dass sie beinahe den Tisch umgeworfen hätte â Charlie hielt ihn rasch fest und verhinderte so die Katastrophe â, gelang ihr alles hervorragend. Sie war das Nonplusultra des Coolen. Und warum auch nicht? SchlieÃlich war sie, nach allem, was sie gehört und gesagt bekommen hatte, eine GroÃstadt-Sirene. Ha. Der Macchiato-Mann hatte keine Chance, wenn sie erst ihre Zunge ölte. Sie würde ihren Text aufsagen, und dann würde sie geheimnisvoll in die Nacht verschwinden.
»Lassen Sie mich raten«, sagte Charlie. »Ist es Ihr Geburtstag?«
»Nein.«
Er beobachtete, wie sie den Schaumwein mit Schwung in eines der Gläser goss, so dass er überschäumte und auf dem Tisch verspritzte. Ohne ein Wort nahm er die Flasche aus ihrer Hand und
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