Der Wunschzettelzauber
vorzustellen.« Sie öffnete kopfschüttelnd die Augen. »Nein. Der Schnurrbart würde mich abschrecken. Aber ich könnte ihn ja abrasieren. AuÃerdem ist er ganz schön kräftig gebaut. Und er beherrscht den Spagat.«
Chloe blickte lächelnd zu Nicolas hinunter, der vor Kurzem seinen ersten Geburtstag gefeiert hatte, und sie bedachte leicht überrascht, dass sie tatsächlich vergnügt war. Und das nicht zum ersten Mal. Die tagtäglichen Treffen mit Sally und Kaja â manchmal sogar dreimal täglich: in der Spielgruppe, im Park und im Supermarkt â wirkten sich langsam, aber stetig positiv auf ihren Gemütszustand aus.
Dabei hatten sie nie wirklich darüber gesprochen, was in Paris geschehen war. Sie war noch nicht bereit dazu und hielt sich weiterhin an ihre Listen, um mit ihrem Kummer fertigzuwerden.
Kurze Zeit nachdem sie sich wiedergefunden hatten, hatte Chloe Sally allerdings eine Kurzfassung jener katastrophalen Ereignisse gegeben, denn so viel, glaubte sie, war sie ihrer alten Busenfreundin schuldig. Sally hatte ihr mit grimmiger Miene unbewegt zugehört, sich innerlich vor Entsetzen krümmend. Es war nicht ihre Art, wegen allem und jedem in Tränen auszubrechen, und wenn Chloe imstande war, ohne Weinen darüber zu sprechen, warum sollte Sally es ihr dann in ihrer Trauer schwerer machen? Sie bohrte auch nicht mit weiteren Fragen in der Wunde, sondern umarmte Chloe nur kurz und schweigend, um anzudeuten, dass sie immer bereit war, mit ihr darüber zu sprechen, wenn sie es wollte. Kaja ihrerseits hatte sich ganz instinktiv aller Fragen bezüglich Nicolasâ Vater enthalten. Sie wartete ab und überlieà es Chloe, das Thema anzuschneiden, wenn sie dazu bereit war, und bis dahin beschränkte sie sich in ihren persönlichen Fragen auf Nicolas.
Sally und Kaja respektierten ihren Kummer, dachte Chloe dankbar. Sie versuchten nicht, sie »wieder auf Trab zu bringen«. Inzwischen ging sie weniger häufig zu den Sitzungen mit Stella, und sie hatte auch das Gefühl, allmählich besser mit den gut gemeinten, aber nervtötenden Aufmunterungssprüchen ihrer Mutter umgehen zu können. Ständig redete sie davon, dass Chloe »nach vorne schauen« und »wieder auf die FüÃe kommen« müsse. Wenn ihre Mutter ihr jetzt die neuesten Backrezepte aufdrängte, die sie begeistert aus einem Käseblättchen des Lake District ausgeschnitten hatte, atmete Chloe nur ein paarmal tief durch, anstatt sie anzubrüllen. Jenny Hill meinte es natürlich gut, doch ihre Methode, sich mit ÂPutzen und Hausarbeit abzulenken, war keine Hilfe für Chloe. Aber das war auch unwichtig, dachte Chloe bei sich, denn das Wichtigste war, sich nicht so sehr auf ihre Eltern zu stützen. Nach Nicolasâ Geburt hatte sie der Versuchung widerstanden, weiter bei ihnen zu wohnen. Sie war jetzt selbst Mutter, eine Erwachsene, und es wäre falsch, sich wieder in ein Kind zurückzuverwandeln.
Daraufhin hatte sie eine lange, schwere Zeit durchmachen müssen. Sosehr sie Nicolas auch liebte, litt sie doch unter der extremen Einsamkeit eines Lebens mit einem kleinen Baby, in dem der wichtigste Mensch, den man um sich haben, in den Armen halten, ja sprechen wollte, für immer verloren war.
Sie war auch damals schon versuchsweise ein paarmal mit Nicolas auf den Spielplatz gegangen, aber es hatte keinen Spaà gemacht. Oft fand sie sich ganz alleine dort wieder â als hätte in der Nacht zuvor ein nuklearer Holocaust stattgefunden, den sie verschlafen und mit ihrem Baby als Einzige überlebt hatte. Wo waren denn all die anderen, fragte sie sich dann, während Nicolasâ Babyschaukel in dem stillen Park einsam quietschend hin- und herschwang. Woher wussten denn all die anderen Mums, wann sie hierherkommen oder sich anderswo treffen sollten? Manchmal waren auch andere Menschen im Park â aber das waren dann meistens aufdringliche Betrunkene oder Verrückte. Einmal hatte Chloe einen Mann gesehen, der auf der anderen Seite der hohen Hecke ging, die den Spielplatz umgab, und in der Annahme, dass er ein Kind bei sich hatte, das sie nicht sehen konnte, hatte sie vage in seine Richtung gelächelt, woraufhin er sie anglotzte und schrie: »Schau mich nicht so dreckig an! Bin ich vielleicht dein Lover?« Chloe hatte sofort den Blick abgewandt und sich bemüht, nicht in Panik zu geraten, und der Mann war schlieÃlich
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