Der Wunschzettelzauber
weitergegangen. AuÃerdem war sie dort ständig Zielscheibe für alle Zeugen Jehovas, die den Park durchquerten, obwohl die wenigstens immer höflich blieben. Sie wusste einfach nicht, was sie auf diesem Spielplatz anfangen sollte, fühlte sich dort hilflos.
Also hatte sie es stattdessen mit den Museen versucht. Sie hatte mit ihrem Baby, das friedlich in seinem Wagen döste, vor dem British Museum, vor dem Natural History Museum oder der National Gallery gewartet, bis die Tore geöffnet wurden, und hatte Nicolas dann durch die Räume geschoben, die zu dieser frühen Stunde ebenso still und verlassen vor ihr lagen wie der Spielplatz. Ihre uninteressierten Blicke wanderten dabei über ausgestopfte Gestalten, alte Töpfereischerben und Porträts von toten Menschen. Nun ja, es half, die Zeit totzuschlagen.
Bei einem ihrer Besuche in einer Gemäldegalerie war Chloe an einem etwas kleineren Gemälde vorbeigekommen, das in der Nähe eines Aufzugs hing, und sie war wie gebannt davor stehen geblieben. Sie kannte sich in moderner Kunst eigentlich nicht aus, sie hatte Âlediglich damals, als sie noch für Avantgarde-Modedesigner arbeitete, bei den wilden Partys in der Modewelt ein paar verrückte ExemÂplare davon zu sehen bekommen. Dieses spezielle Gemälde jedoch, von einem gewissen Evan C. Kessler gemalt, zog ihren Blick magisch auf sich. Es trug den Titel »Das Bett«, und es zeigte ein Paar, das nebeneinander auf einem Bett lag, halb von Decken und Kopfkissen bedeckt, die Arme ineinander verschlungen und die Körper wie Löffelchen aneinandergeschmiegt. Chloe nahm die leuchtenden Farben, das Blau, Violett und Grün, in sich auf und fühlte plötzlich, wie ihre Kehle und ihre Brust, die sonst immer wie von einem engen Band der Trauer eingeschnürt waren, sich zum ersten Mal entspannten. Ãber und neben dem Bett schien ein schattenhafter Umriss einer dritten Gestalt zu schweben, nur Glieder und Kopf, der sich über das Bett hinaus ausdehnte. Chloe hatte keine Ahnung, was dieses Gemälde ausdrücken sollte, aber es sprach sie machtvoll an und bewirkte auf geheimnisvolle Weise, dass sie sich weniger hohl und leer fühlte â dass sie Ruhe und Kraft anstatt Traurigkeit und Frust in sich fühlte.
In dem Verkaufsladen der Galerie gab es keine Reproduktion von diesem Bild, und auÃerdem hätte es im Postkartenformat auch nicht die gleiche Wirkung entfaltet â Chloe zog es vor, das Original zu betrachten. Und so stattete sie der Galerie in den darauffolgenden Monaten häufig Besuche ab, um dieses eine Bild immer wieder zu betrachten. Sie stand dann jedes Mal lange Zeit davor, wiegte Nicolas in ihren Armen und verschlang mit den Augen diese leuchtenden Farben, die beinahe im FlieÃen begriffen zu sein schienen, wie die See â wie das Leben selbst. Sie schwammen in Schichten, enthüllten hie und da einen gelben Untergrund, der in unregelmäÃigen Pinselstrichen auf die Leinwand aufgetragen war. Es lag etwas Besonderes in der Art, wie die beiden Gestalten zusammen im Bett lagen, etwas, das Chloe an sie selbst und Antoine erinnerte. Und dann war da diese geheimnisvolle â geisterhafte und beschützende â dritte Gestalt, die sie ebenfalls an Antoine erinnerte.
Nachdem sie Sally wiedergefunden hatte, wurden Chloes einsame Ausflüge in die Galerie seltener und noch seltener, nachdem Kaja sich ihrem Bund angeschlossen hatte.
Dadurch, dass sie nun Freundinnen besaÃ, wurde der Kinderspielplatz plötzlich zu einem freundlichen Ort. Sie hatte einen Weg aus der Dunkelheit gefunden, das Sonnenlicht kehrte in ihr Leben zurück. Langsam, ganz langsam spürte sie, wie durch den tagtäglichen Kontakt mit ihren beiden Freundinnen das erstickende Gefühl von Panik und Grauen, das sie seit Antoines Tod umklammert gehalten hatte, allmählich in den Hintergrund trat. Sie weinte sich zwar noch immer jede Nacht in den Schlaf, aber tagsüber vergingen manchmal mehrere Stunden, ohne dass sie sich den Tränen nahe fühlte.
Mit Sally und Kaja zusammen zu sein tat ihr so gut wie warmer Sonnenschein â Chloe genoss jeden Augenblick ihrer Gesellschaft. Es war wunderschön, zu einer kleinen, verschworenen Gemeinschaft zu gehören, in der man über ganz alltägliche Dinge reden konnte â darüber, wie es war, wenn das Baby Durchfall hatte oder sich plötzlich wie eine Springbrunnenfontäne
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