Der Wunschzettelzauber
und hinunterzugehen, und sich die Freude zu machen, später wieder zu ihm zurückzukehren.
Auf dem Weg nach unten warf sie einen Blick in Katies Zimmer. Die Kinder schliefen â Katie in ihrem Bett und Nicolas auf einer Luftmatratze auf dem Boden â in rührenden Posen wie kleine Hündchen, die mitten im Spiel eingeschlafen waren. Chloe beugte sich über Nicolas und betrachtete seine langen Wimpern, seine im Schlaf geröteten Backen, seinen geöffneten Mund. Es war noch zu früh, um ihn aufzuwecken. Sie wollte erst einmal nachdenken. Später würde sie sich dann beeilen und ihn auf dem Weg zur Arbeit in den Kindergarten bringen.
Sie tapste in den unteren Räumen umher, betrachtete sich die klassischen Schallplattenhüllen an der Wand näher â manche kannte sie, andere wiederum nicht. Sie sah sich noch einmal Charlies abstraktes Gemälde an und auch ein Poster, das ihr gestern Abend nicht aufgefallen war. Es zeigte Brancusis Skulptur »Vogel im Raum«, die fast wie ein Ausrufezeichen wirkte, aber auch ganz eindeutig wie ein sich in die Lüfte erhebender Vogel.
Später stand sie in der Küche, nippte an einer Tasse mit sehr heiÃem Tee und erinnerte sich an den vergangenen Abend. Nachdem sie die Kinder zu Bett gebracht hatten, waren sie wieder hinuntergegangen, und Charlie hatte Sandwiches mit Hühnerfleisch zubereitet, die sie auf dem Sofa aÃen, mit einem Glas Rotwein dazu. Es war ohne Frage das Köstlichste, was Chloe je gegessen hatte. Charlie musste eine ganz besondere Art haben, ein Huhn zuzubereiten. Wahrscheinlich lag es an den Gewürzen.
Und später dann, mit ihm in seinem Schlafzimmer, hatte sie über sich selbst gestaunt. In all den Jahren, in denen sie höchstens theoretisch an Sex gedacht hatte, und auch in den letzten Monaten, als sie sich mit aller Macht vor genau diesem Mann in Sicherheit bringen wollte, hatte sie sich immer davor gefürchtet, sich nackt zu zeigen, sich der Leidenschaft und der Intimität einer sexuellen Begegnung auszuliefern.
Nun aber, als sie sich auszogen und sich dabei ununterbrochen küssten, stellte sie fest, dass sie nicht nur ihn â endlich â nackt sehen wollte, sondern ihm auch ihren Körper zeigen wollte. Es war ein Augenblick ruhigen, fast feierlichen Triumphs gewesen. Dann hatte sie sich beeilt, diesem Mann, den sie schon so lange begehrte, so nahe wie möglich zu kommen, jede Lücke zwischen ihnen zu schlieÃen, und sie hatte ihm auch erst viel später gestanden, dass da anfangs ein sehr kurzer, kleiner Schmerz gewesen war, scharf und bohrend; sie wollte aber nichts unterbrechen, sie wollte alles fühlen, was ihr Körper ihr sagte.
Es war nicht wie eine erneut verlorene Jungfernschaft, nichts in der Art. Es hatte sich eher wie ein deutliches Signal angefühlt, dass etwas Bedeutendes geschah, ein bedeutsamer Schritt in eine neue Intimität mit einem anderen Mann, einem Mann, der nicht AntoiÂne war. Danach hatte sie keinerlei Schmerz mehr empfunden. Und auch keinerlei Scheu. Nur noch intensive Wollust. Noch nie hatte sie sich in ihrem Körper wohler gefühlt als in dieser Nacht mit Charlie in seinem Bett.
»Jetzt werde ich glücklicher sterben«, hatte Charlie mitten in der Nacht gemurmelt, während sie sich eng umschlungen hielten und langsame, zärtliche, berauschende Küsse austauschten.
Zuerst hatte sie so getan, als hätte sie es nicht gehört.
Aber er war beharrlich. »Ich werde glücklicher sterben, weil ich dich getroffen habe.«
»Sag das nicht«, hatte sie gefleht und ihre Fingerspitzen auf seine Lippen gelegt. »Ich weiÃ, es ist nur ein Spruch, aber bitte nicht.«
Mit seinen Lippen dicht an ihrem Mund flüsterte er: »Es ist nicht nur ein Spruch. Es drückt aus, wie ich mich fühle. Ich würde das zu niemand anderem sagen.«
Er meinte es ernst. Wörter, die sie einst verletzt hätten, ihren Kummer wieder geweckt hätten, kamen aus seinem Mund wie eine tiefempfundene, alles umhüllende Liebkosung. Alles fühlte sich neu an.
In der Erinnerung daran schlang sie ihre Arme um sich und blieb stehen, wo sie gerade war, vor Katies Rakete aus Pappmaché. Dann hörte sie eine schüchterne Stimme hinter sich.
»Kann ich ein bisschen Frühstück kriegen, bitte?«
Chloe drehte sich um. Da stand Katie im Pyjama.
»Guten Morgen, Katie«, lächelte Chloe und folgte der
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