Der Zauber deiner Lippen
annehmen wollen, obgleich sie sie dringend brauchen.“
„Donnerwetter! Sie wissen offenbar, wovon Sie sprechen.“
„ Maldita sea, es cierto! Allerdings! Sture, hartnäckige Frauen, die auf ihrer Unabhängigkeit bestehen, erkennen einander. Ist es nicht so?“
Wieder musste Cybele lachen. „Genau. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen.“
„Gut. Dann werde ich Rodrigo von Ihrem ungehörigen Benehmen Bericht erstatten.“ Mit Mühe unterdrückte Consuelo ein Lächeln. „Wahrscheinlich wird er Sie mit Ihrem rechten Arm an mich ketten, bis Sie wieder ganz gesund sind.“
„Es wäre mir eine Ehre, an Sie … gefesselt zu sein. Aber vielleicht kann ich Sie irgendwie bestechen, damit Sie nicht alles weitergeben?“
„Ja, und Sie wissen auch, wie.“
„Indem ich verspreche, nie wieder Koffer zu heben, die mit Wackersteinen gefüllt sind?“
„Und indem Sie alles tun, was ich sage. Sofort, wenn ich es sage.“
„Hm, wenn ich es mir recht überlege, möchte ich doch lieber Rodrigo als Aufpasser haben.“
„Noch was? Schluss mit dem Unsinn. Rodrigo hat mir erzählt, was Sie heute und auch die ganze letzte Zeit durchgemacht haben. Das bedeutet, dass Sie in der nächsten Woche nur schlafen und sich ausruhen werden. Und natürlich gut essen. Sie sehen ja aus, als würden Sie sich alsbald in Luft auflösen.“
Lächelnd sah Cybele an sich herunter. Im Vergleich zu Consuelos üppiger Figur bestand sie wirklich nur aus Haut und Knochen. Aber die Frau war genau das Richtige für sie. Sie war energisch, warmherzig und brachte sie zum Lachen. Genau das hatte Rodrigo wahrscheinlich bezweckt.
Jetzt nahm Consuelo sie beim Arm und führte sie zum Bett. Erschöpft setzte Cybele sich. Nun erst merkte sie, wie sehr der Tag sie angestrengt hatte. Und während Consuelo ein Bad einließ, die Koffer auspackte, alles im Ankleidezimmer einordnete und weghängte – mit Ausnahme der Sachen, die zur Nacht gebraucht wurden –, saß Cybele nur da und hörte ihr zu. Denn die resolute Spanierin redete unaufhörlich vor sich hin, in perfektem Englisch zwar, aber doch mit weichem katalanischen Akzent. Als schließlich das Schaumbad eingelassen war und sie Cybele in das große, mit Marmor geflieste Bad führte, hatte sie ihr bereits ihre ganze Lebensgeschichte erzählt, zumindest seit sie und ihr Mann sich um Rodrigos Anwesen kümmerten.
Als Consuelo ihr auch noch beim Auskleiden behilflich sein wollte, wehrte Cybele lachend, aber entschieden ab. „Das kann ich nun wirklich allein.“ Doch erst als sie einwilligte, die Badezimmertür offen zu lassen, zog sich Consuelo zurück.
Lächelnd und kopfschüttelnd zog Cybele sich aus. Aber das Lächeln verging ihr, als sie sich im Spiegel betrachtete. War sie immer so dünn gewesen? Wann und warum war sie so abgemagert? War sie unglücklich in ihrer Ehe gewesen? Aber warum hatten sie und Mel dann unbedingt ein Kind haben wollen und zweite Flitterwochen geplant? Und Rodrigo? Hatte sie ihm gefallen? Jetzt natürlich nicht, jetzt sah sie schrecklich aus. Aber früher, war sie sein Typ gewesen? Hatte er eigentlich eine Freundin? Oder vielleicht nicht nur eine?
Du liebe Zeit, konnte sie denn keinen Gedanken zu Ende denken, ohne bei Rodrigo zu landen! Bei der Vorstellung, dass er mit einer anderen Frau zusammen war, verspürte sie quälende Eifersucht. Aber wie konnte das sein, wenn sie doch vor gut einer Woche noch mit seinem Bruder verheiratet gewesen war? Irgendetwas stimmte da doch nicht. Seufzend stieg sie in die Wanne und streckte sich in dem duftenden Wasser aus. Das tat gut.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass genau gegenüber ein großes Fenster in die Wand eingelassen war. Der sich verdunkelnde Abendhimmel mit den silbernen Wolken und dem perfekten Halbmond passte sich wie ein Gemälde in diesen Rahmen ein. Doch wieder schob sich Rodrigos Gesicht in dieses Bild. Sie hörte seine dunkle weiche Stimme, spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte, ihr Herzschlag dröhnte … „Aufhören!“
„Was ist?“ Das war Consuelos Stimme, und Cybele riss die Augen auf. Mein Gott, hatte sie etwa laut geschrien? Offenbar ja, denn die rundliche Spanierin stürzte ins Bad und sah sie erschrocken an.
„Ich … äh … ich …“ Wie sollte sie ihren Aufschrei erklären? „Ich meine, ich … ich will nicht mehr in der Wanne liegen.“
Ja, es wurde wirklich Zeit, dass das alles aufhörte. Sie musste ihr Gedächtnis wiederfinden, musste die Rätsel lösen, die sie quälten, und vor allen Dingen
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