Der Zauber deiner Lippen
lebendig.
Irgendwie war ihr jetzt leichter ums Herz. Neugierig blickte sie sich in ihrem neuen Domizil um. Das Zimmer, sofern man einen etwa einhundertzwanzig Quadratmeter großen Raum als Zimmer bezeichnen konnte, hatte schon durch die helle blaugrüne Wandfarbe eine beruhigende Wirkung auf sie. Die dunklen Mahagonimöbel boten einen interessanten Kontrast. Die duftigen Vorhänge waren ebenso wie die Wände in Blaugrün gehalten und bauschten sich vor den offenen Fenstern, durch die frische Seeluft hereinkam.
Cybeles Blick glitt über den glänzenden Holzfußboden und blieb auf den beiden großen Koffern hängen, die Rodrigo vor dem Ankleideraum abgestellt hatte. Offenbar hatte er sie vollkommen neu eingekleidet, und wenn sie von dem Kostüm ausging, das sie bei der Begegnung mit Mels Eltern getragen hatte, dann kannte Rodrigo nicht nur ihre Größe, sondern hatte obendrein einen ausgezeichneten Geschmack.
Sie griff nach dem einen Koffer, um ihn auf die Bank zu heben … es war unmöglich. Was hatte er denn da hineingepackt? Ziegelsteine? Wieder versuchte sie, den Koffer anzuheben. Das konnte doch nicht so schwer sein, denn Rodrigo hatte mühelos beide Gepäckstücke gleichzeitig hereingetragen.
„ Parada!“
Bei dem harschen Befehlston fuhr Cybele herum. Eine untersetzte Frau Ende dreißig, ganz eindeutig eine Spanierin, kam schnellen Schrittes auf sie zu, wobei sie missbilligend den Kopf schüttelte. „Rodrigo hat mir schon gesagt, dass Sie es mir nicht leicht machen werden.“ Sie schob Cybele zur Seite, griff rasch nach dem Koffer und warf ihn mit Schwung auf das Bett. Mit offenem Mund starrte Cybele sie an. Diese Katalanen schienen ja Bärenkräfte zu haben.
Die Frau stemmte die Hände in die Hüften, warf das schulterlange glänzend dunkelbraune Haar nach hinten und musterte Cybele langsam von oben bis unten. „Er meinte, dass Sie zu den Frauen gehören, die Probleme machen können. Und wenn ich sehe, wie Sie sich bemühen, Ihre Wunde wieder aufplatzen zu lassen, kann ich nur sagen, er hat recht. Wie eigentlich immer.“
Also hielt nicht nur Cybele ihn für unfehlbar. „Ich habe keine Operationsnarben, die wieder aufplatzen könnten. Dank der revolutionären OP-Technik von Dr. Valderrama.“
„So?“ So leicht gab die Frau sich nicht geschlagen. „Und was ist damit?“ Sie tippte sich an die Stirn. „Auch da oben kann etwas platzen, wenn Sie sich zu sehr anstrengen.“
Stimmt. Cybeles Schläfen pochten schmerzhaft, nachdem sie vergeblich versucht hatte, den Koffer anzuheben. Und dann fiel ihr auch wieder ein, dass Rodrigo ihr von dieser Frau erzählt hatte. Da sie leider zu sehr von seinem Mienenspiel abgelenkt gewesen war, hatte sie nur halb zugehört. Consuelo, eine Verwandte von ihm, lebte mit ihrem Mann und den drei Kindern hier auf dem Anwesen, sozusagen als Verwalterin. Sie würde sich um Cybele kümmern und darauf achten, dass Rodrigos Anweisungen genau befolgt wurden.
Also misstraute er ihr und hielt es für sicherer, sie überwachen zu lassen . Hm, vielleicht gar nicht so dumm … Cybele streckte die Hand aus und lächelte freundlich. „Sie müssen Consuelo sein. Rodrigo hat mir von Ihnen erzählt.“
Zu ihrer Überraschung umarmte Consuelo sie und küsste sie auf beide Wangen. Dann ließ sie sie wieder los und verschränkte die Arme vor dem üppigen Busen. „So? Hat er Ihnen auch erzählt, worin meine Aufgabe besteht? Nur damit keine Missverständnisse aufkommen, Sie haben dieses Haus als Rekonvaleszentin betreten, blass, mit Schürfwunden, einem gebrochenen Arm und vielen Blutergüssen. Und ich entlasse Sie erst wieder, wenn Sie in Topform sind, ist das klar? Ich werde es nicht dulden, wenn Sie Rodrigos Anweisungen nicht befolgen. Denn ich bin nicht so weich und nachgiebig wie er.“
„Weich und nachgiebig?“, stieß Cybele ungläubig hervor. Dann lachte sie laut los. „Es muss wohl zwei Rodrigos geben. Mir ist bisher nur der unnachgiebige und unerbittliche begegnet.“
„Wenn Sie ihn schon für unnachgiebig halten, dann warten Sie, bis Sie mich kennengelernt haben. Bin gespannt, was Sie nach den ersten vierundzwanzig Stunden sagen.“
„Oh, ich habe schon nach den ersten vierundzwanzig Sekunden einen ganz guten Eindruck.“
Consuelo grinste. „Ich kenne Ihren Typ. Sie gehören zu den Frauen, die alles selbst machen wollen, die behaupten, dass sie alles schaffen, die loslegen, wenn sie es nicht sollten, ohne Rücksicht auf die eigene Person. Nur weil sie keine Hilfe
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