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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camille de Peretti
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als ein weißer Vogel auf seiner Sitzstange, der sich vor dem grauen Wasser des Kanals abzeichnete. Also wurde ein Angestellter eigens damit beauftragt, das Tier ununterbrochen zu füttern, damit es die gewünschte Positur beibehielt. Schließlich schaffte Luisa zahlreiche Reptilien an, insbesondere eine Boa constrictor, die sie auf den klingenden Namen Anaxaragus taufte. Indem sie sich die Schlange um Arm oder Hals wand, gelang es ihr wie der sagenhaften Medusa, ihr Publikum erstarren zu lassen. Von den vorzüglichsten Täschnern ließ sie mit Satin ausgepolsterte Kästchen herstellen, um ihre Schlangen überall mit hinzunehmen.

    Diese Menagerie, halb Zirkus, halb Zoo, wirft ein spektakuläres und trügerisches Licht auf meine Marchesa. In ihrer zutiefst leeren Welt spürte sie allem nach, was ihr ein wenig Adrenalin verschaffen konnte. Sie hatte eine entsetzliche Angst, sich zu langweilen, wie damals, als sie müßig durch die Flure der Villa Amalia irrte. All ihre Launen, ihre Ausgaben, ihre Extravaganzen waren eine Art, sich die Zeit zu vertreiben. Für Luisa hatte Geld keinen anderen Zweck als den, ihre Untätigkeit zu überdecken. Sie hortete es nicht. In ihrer Kindheit hatte sie gelernt, dass der Tod jederzeit zuschlagen kann, und daher rührte ihr Entschluss, strikt nur im Heute zu leben.

    Von Luisas Residenz sind nur noch die Böden aus grauem, gelbem, schwarzem und rosa Marmor geblieben. Alles ist heute aseptisch und normgemäß umgestaltet, die Wände sind eingerissen worden, um die Sonntagsbesucher frei zirkulieren zu lassen, und über den Türen blinken die Notausgang-Schilder.

I ch war wohl vierzehn Jahre alt. Das ganze Haus lag im Schlummer, nur ich konnte nicht einschlafen. So ging ich ins Badezimmer und fing an, mich zu schminken. Anfangs, um mich hübsch zu machen, doch dann trieb ich es nach und nach immer weiter, legte mehr Lippenstift auf als nötig, das Schwarz trat über die Ränder, und ich konnte mich nicht mehr bremsen, bis ich mein Gesicht mit furchterregenden Strichen bedeckt hatte. Dann zog ich mich aus, trat vor den Spiegel, griff mir mit beiden Händen ins Haar und zog die grässlichsten Grimassen, riss die Augen auf wie eine Verrückte und wackelte mit dem Kopf wie ein besessener Clown. Bis ich selbst Angst bekam. Schreckliche Angst. Zitternd nahm ich einen Waschlappen, rubbelte alles ab, ohne noch einmal hinzusehen, und ging wieder ins Bett. Man braucht immer ein Publikum.

    Meine Heldin ist allein. Sie findet keinen Schlaf. Luisa ist viel zu viel allein. Sie hat bei Mariano Fortuny eine Robe bestellt. Dieser begnadete Universalkünstler hatte das Geheimnis wiederentdeckt, nach dem in früheren Jahrhunderten die Roben der Priester und Kardinäle hergestellt wurden. «Das Kleid von Fortuny, das Albertine an diesem Abend angelegt hatte, kam mir wie ein lockender Schatten jenes unsichtbaren Venedig vor.» Wie glücklich ich war, als ich entdeckte, dass Marcel Proust ganze Passagen seiner Recherche den plissierten Seidenstoffen dieses Couturiers gewidmet hatte.
    Die geplünderte Schachtel liegt am Boden des Schlafzimmers, das zerfetzte Seidenpapier ist über den Teppich verteilt. Denselben goldroten Stoff haben einst die Gattinnen der Dogen verwendet. Luisa schlägt die Hände vors Gesicht. Sie, die sonst so stark ist, weiß nicht mehr weiter. Was soll all dieser Prunk? Was will sie mit einer Fortuny-Robe, wenn kein Mann da ist, der sie ihr vom Leib reißen und zerknüllt ans Fußende des Betts werfen will? Was soll sie tun, wenn sie das Stück angezogen hat? Sich in diesem moirierten Leichentuch aufs Bett legen und ausharren, bis das Unverhoffte geschieht? Es ist ein dunkles, beengtes Zimmer. Der Marmorfußboden ist mit Orientteppichen ausgelegt, um für etwas Wärme zu sorgen, die kleinen Lampen in allen vier Ecken verströmen gedämpftes Licht. Das Zimmer möchte gemütlich wirken, in Wahrheit jedoch schreit es Einsamkeit hinaus. Luisa denkt an ihre Kindheitsträume, in denen sie sich mit Tausenden Freunden umgab. Die Vögel in den Bäumen ihres Gartens sind verstummt. Nie im Leben wird sie einschlafen können. Braucht sie einen Mann? Einen Mann, der sie begehrt? Was wäre ihr die Liebe eines Einzelnen wert? Wohlbedacht hat sie nie die Vertrautheit mit einem Seelenverwandten gesucht, stets nur die Bewunderung vieler. Vieler undeutlich erkennbarer Freunde, die hinter Luisas Geheimnis und ihrer Aura verschwinden. Hätte sie die Wahl zwischen einem Liebhaber, der sie aus der Robe

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