Der Zauber der Casati
kleidet, und … Entschlossen steht sie auf und ruft nach Garbi.
Noch ist sie nicht entdeckt worden. Sie hört hastige Schritte, das Rascheln eines Unterrocks, Flüstern und den fernen Gesang eines Betrunkenen, der übers Pflaster wankt. Und auf einmal halten alle inne. Luisa weiß: Unter den Arkaden des Markusplatzes bietet sie einen Anblick wie eine Fata Morgana. Im Schatten sieht sie Augen funkeln, der Riese Garbi beleuchtet ihren Weg, indem er einen zwölfflammigen Kandelaber vor sich herträgt. Ihre golden-granatrote Damastrobe schillert in der Dunkelheit. Die Stoffbahnen werfen irreale Schatten auf die Stufen des Dogenpalastes. In ihren Chinchilla-Pantoffeln mit langsamen, stolzen Schritten einherschreitend wie eine Königin zum Opferplatz, wie eine Hexe, die unerschütterlich zum Schafott geht, führt sie ihre Geparden an der Leine. Die großen Katzen schleichen geschmeidig vor ihr her wie zwei aus der Antike aufgetauchte Sphingen. Die Venezianer trauen ihren Augen nicht. Wer ist diese Geistererscheinung? Wer ist diese Frau? Das Herz der Marchesa schlägt heftig. Sie fühlt sich lebendig. Am nächsten Morgen werden alle herumerzählen, was sie gesehen haben. In dieser Nacht gaben sie ihr einen neuen Namen; Luisa wurde «die Casati».
L uisa liebte Feste, und Venedig erlaubte ihr, auf diesem Terrain zu brillieren. Sie wählte erlesene Gäste aus, Künstler, Maler, Dichter, Tänzer – Isadora Duncan und Nijinsky, um nur diese beiden zu nennen, improvisierten einen Pas de Deux für sie. Sie mischten sich unter Aristokraten, Botschafter und andere begüterte Persönlichkeiten, die aus ganz Europa in diese kosmopolitische Stadt strebten. Etliche Stiche zeigen Luisa ganz in Weiß gekleidet, als Vestalin, eine Kerze in der rechten Hand, in der Linken die türkisblaue Leine eines ihrer Geparden. Wahrscheinlich, denke ich, empfing sie so ihre ekstatischen Gäste. Bisweilen veranstaltete sie Gondelausflüge allein für D’Annunzio. Sie ließ den Boden des Bootes mit Orchideen bedecken, und so liebten sie sich auf dem weißen Blütenbett, unterm Mondschein, schreiend wie Besessene. Sie ging weiterhin nachts in Gesellschaft von Garbi und ihren Tieren aus, um die Bewunderung der Passanten wachzuhalten. Die irrsten Gerüchte über sie liefen um, und La Casati nährte sie entzückt. Sie durfte ihr Publikum nicht enttäuschen. Allzu viele Frauen trugen jetzt die außergewöhnlichen Roben von Fortuny, also wandte sie sich an den berühmten Kostümbildner der Ballets Russes, Léon Bakst.
Die langjährige Zusammenarbeit von Luisa und Bakst wurde durch ein weißes Harlekins-Kostüm besiegelt, das sie für einen der ersten Bälle bestellte, die sie im Palazzo dei Leoni organisierte, einen Renaissance-Ball. An dem Abend wurden Fotos gemacht, absolut spektakuläre, die beweisen, dass die Gäste die Kunst der Verkleidung nicht auf die leichte Schulter nahmen. Auch später sollte Luisa sich häufig als Mann verkleiden. Sie wäre so gern eine Femme fatale gewesen, wenn sie denn gekonnt hätte, doch war sie dafür nicht genug Frau. Zu frei und unabhängig war sie dafür, zu exzentrisch, zu mager. Eine Zauberin, das ja, allenfalls ein Vamp. Keine, für die die Männer mit Dolchen aufeinander losgehen. Wo sie nicht geliebt wurde, genügte es ihr, gefürchtet zu sein und gesehen zu werden. Bemerkenswert ist, dass sie sich nicht nur für ihre Gäste so restlos extravagant anzog, sondern auch, wenn sie allein war. Die Verkleidung wurde ihr nach und nach zum Alltag, zur Normalität. Ihr Exhibitionismus wurde grenzenlos, jede Gelegenheit, sich zu entblößen, war ihr recht. Einer ihrer Gäste berichtet, wie sie eines Abends, als ihr zu warm wurde, ein Messer hernahm, ihr Kleid von oben bis unten aufschlitzte und die Konversation da fortführte, wo die verblüfften Gäste sie unterbrochen hatten. Manche Leute hätten viel darum gegeben, zu einem ihrer Empfänge geladen zu werden, andere wiederum weigerten sich hinzugehen, meist Frauen. Die Aussicht, dass ein Gepard ihren Unterrock zerreißen könnte, oder die Vorstellung, sich der stets um den Hals ihrer Herrin geschlungenen Boa constrictor gegenüberzusehen, ließ sie davon Abstand nehmen. Und tatsächlich war Luisa immer nur von Männern umgeben. Manche sagen, sie hätte die Gesellschaft von Frauen nicht gemocht, ich denke, sie hatte einfach Angst, es könnte sie eine übertreffen. Meine Luisa fand sich nicht hübsch.
Bälle und Festivitäten folgten einander dichtauf, und die
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