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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camille de Peretti
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verstecktes Foto hervorzuholen. Es war Man Rays Foto, das mit den drei Augenpaaren, seltsam in T-Form zugeschnitten. Am Hals stand in roter Tinte «Für Ariel. Coré, Tochter der Ceres». Die Führerin erklärte mir stolz, Ariel und Coré seien die Spitznamen, die Gabriele und die Casati einander gegeben hatten, doch da schrillte der Alarm, und sie stellte das Bild rasch wieder an seinen unsichtbaren Platz zurück.

    Natürlich sagten Luisa und Gabriele sich auf Wiedersehen wie jedes Mal zuvor. Man kann sich nicht jeden Tag so verhalten, als würde man morgen sterben. Man denkt, es sei ein großes Privileg zu wissen, dass man jemanden zum letzten Mal sieht. Dabei – wenn man Gelegenheit dazu hätte, wüsste man, wie das geht, einander Adieu zu sagen? Wenn ich es bei Nini gewusst hätte oder bei Stanislas, was hätte ich ihnen zusätzlich gesagt? Etwas Tiefgründiges? Etwas Liebes? Eine Lüge? Jedenfalls nicht die Wahrheit. Wenn jemand stirbt, der uns nahesteht, sind wir versucht, unser Gewissen zu erleichtern. Wozu? Dass ich sie liebte? Ja, ich liebte sie. Das ist das größte Versäumnis, jemanden in den letzten Momenten seines Lebens nicht mit Liebe zu umgeben. Damit sie erfüllten Herzens gehen können. Erfüllt von uns, wir Egoisten.
    Luisa kehrte in den Palais rose zurück. Wegen des Koksens wurde sie ein bisschen paranoid, sah überall Einbrecher. Sachen verschwanden. Sicher wegen der Zigeuner, die sie eines Abends mit ihren Affen und klugen Hunden zu einem Fest empfangen hatte, damit sie ihr die Zukunft vorhersagten. Nach der Katastrophe des Cagliostro-Balls wollte niemand mehr bei ihr tanzen und singen. Die Zigeuner sind alle Diebe. Das Personal auch. Zum Glück wurde sie noch eingeladen. Außerdem beanspruchte das ihren Geldbeutel weniger, auch wenn ihr das egal war. In Mailand in seinem Büro saß Saracchi, bekam die Rechnungen auf den Tisch und fragte sich, wo das alles enden sollte. Da sie nie wieder dorthin reiste, forderte er Luisa auf, die Villa San Michele aufzugeben, wegen der sich Schulden aufhäuften. Wie immer, wenn sie in der Klemme saß, wandte sie sich an D’Annunzio, den Einzigen, der begreifen konnte, warum sie so an diesem lichtdurchfluteten Haus überm Meer hing. Doch Gabriel beantwortete ihre Bitte, ob sie sich die Kosten teilen könnten, nicht einmal. Die Finanzen des Dichters erlaubten solch eine Verrücktheit nicht. Und er war vernünftig geworden. Also ließ sie das Gebäude räumen und per Boot alles wegschaffen, was ihr Paradies bevölkert hatte. Axel Munthe blieb auf 50000 Lire Mietschulden sitzen.

    Der Absturz mochte unabwendbar sein, er näherte sich hinterrücks und zusehends. Luisa musste sich von persönlichen Gegenständen trennen. Die Casati konnte nicht ohne Bargeld leben, jahrzehntelang hatte sie so viele Möbel gekauft, Bilder, Nippes, Kuriositäten, Schmuckstücke, da sollte es doch ein Leichtes sein, ohne große Folgen das eine oder andere zu verkaufen. Wen wird es überraschen, dass sie eine miserable Verkäuferin war? Wohlgesinnte Freunde und Bekannte aus der besseren Gesellschaft erleichterten sie gegen eine Handvoll Münzen um Meisterwerke. Luisa lachte aus vollem Halse, wenn ein Händler sie begaunerte. Sie wollte darüberstehen. Ein elfenbeinerner Christus aus dem 11. Jahrhundert, der Papst Alexander II. gehört hatte, um einen Gläubiger wegzuschicken, Boldinis Porträt mit den Windspielen an Baron Maurice de Rothschild, eine ägyptische Statuette an Margaret Rockefeller und zwei bronzene Rehe an Coco Chanel. Ab diesem Zeitpunkt hätte man meinen mögen, Taxifahrer, Händler, Traiteurs und Geldverleiher aller Art würden sich den Tipp gegenseitig weitersagen. Ob sie aus der großen Welt stammten oder aus der kleinen, sie fledderten sie gehörig. Ein Smaragdarmband als Lohn für eine Hausangestellte, ein Diamantring gegen ein Abendessen mit Champagner, eine Perlenkette für den Blumenhändler.
    Angesichts ihrer Launen muss ich so sehr an Nini in ihrer letzten Lebenszeit denken. War sie vielleicht manisch-depressiv? Es wäre absurd zu sagen, sie hätte keinen Begriff von Geld gehabt. Meine Marchesa wusste ganz genau, dass eine Taxifahrt nicht dem Gegenwert eines Paares goldener Ohrringe entsprach. Sie war weder unschuldig noch naiv. Aber sie war in einer infernalischen Spirale gefangen, sie suchte doch nur ein bisschen Adrenalin, verflucht noch mal! Ihr ganzes Leben lang hatte man ihr mit Besitztümern, Mieten, Erträgen, zu bezahlenden Rechnungen, zu

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