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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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sagte er nur.
    Dieser Satz ließ mehrere Auslegungen zu, doch Francesca tat, als sehe sie nur eine: »Danke, dass Sie mir vertraut haben«, sagte sie.
    Sie wurde der Silvana Mangano aus Tod in Venedig immer ähnlicher, nur war sie dünner und unsicherer. Sie sagte nicht, wo und womit sie die zwei vergangenen Wochen verbracht hatte.
    Van erzählte ihr nichts von Collets Buch und den sehr sichtbaren Spuren darin. Das Unglück war ja schon geschehen. Ob Francesca davon wusste oder nicht, änderte nichts an den möglichen Auswirkungen. Wenn er sie informierte, würde er ihr Ohr nur für die Trommel der Gefahr schärfen, bei der man sich, wenn man sie einmal gehört hatte, fragte, ob da nicht in Wirklichkeit mehrere Trommeln rollten und wo sie wohl waren, noch in weiter Ferne oder schon ganz nah.
    An diesem besonderen Tag wollte Van sie vor allem abschirmen, was an Schlachtenlärm erinnerte, und ihr nur das Bild einer Buchhandlung vermitteln, die selbstgewiss und von Freunden umgeben munter ins zweite Jahr schritt.
    Er berichtete Francesca, was Der gute Roman während ihrer Abwesenheit erlebt hatte, Verkauf, Abonnements, die letzte Entdeckung der Freunde der Buchhandlung – die Taschenbuchausgabe von Vila-Matas Risiken und Nebenwirkungen – und die vielen, vielen Geburtstagsglückwünsche, die schon seit Tagen eintrafen.
    »Stetiger Wind, ruhige See, gleichmäßige Geschwindigkeit«, fasste Van zusammen.
    »Die Ruhe vor dem Sturm«, meinte Francesca.
    »Wieder Sonnenschein«, korrigierte Van. »Und …« Er zögerte. Doch er fühlte sich verpflichtet, Francesca auch diese Neuigkeit mitzuteilen: »Ich habe … Anis hat eine Wohnung gefunden.«
    »Wir« brachte er nicht über die Lippen. Er schwieg. Er hatte keine Lust, mehr dazu zu sagen. Außerdem durfte er sicher sein, dass Francesca alles erriet und ihm jeden Kommentar und jede Frage ersparen würde. Er sah sie an und sah das traurigste aller möglichen Lächeln und Augen, in denen es wogte wie auf dem Meer.
    Nachdem sie die Buchhandlung am Abend abgeschlossen hatten, führte Francesca Ivan, Anis und Oscar zu Fuß in die Rue du Cherche-Midi, jenseits des Boulevard Raspail. Es war heiß, und in den Straßen, durch die nur selten ein Auto fuhr, hörte man das Besteckgeklapper und das Gläserklingen aus den Restaurants. Neben einer Toreinfahrt tippte Francesca einen Sicherheitscode ein. Nachdem sie unter einem Tonnengewölbe hindurchgeschritten waren, standen sie in einem kleinen Garten, nicht größer als ein Hof, aber voller schöner Bäume und Rosenstöcke. Und dort, unter dem Blätterdach, wartete ein gedeckter Tisch, beleuchtet von Windlichtern und zwei Laternen, die zu beiden Seiten der Steintreppe eines kleinen, nur drei Fenstertüren breiten Stadtpalais aufgestellt waren.
    »Freunde«, sagte Francesca vage und machte eine halbkreisförmige Armbewegung. »Das Haus ist leer.«
    Tatsächlich kam während des ganzen Abendessens niemand. Alles war auf einer Anrichte bereitgestellt worden, Melonen, Geflügelvorspeisen, Feigen, Himbeeren und mit Eis gekühlter Champagner. Jeder bediente sich wie an einem Büfett. Jetzt erst sah Van, dass Francesca ihr lavendelblaues Hemdblusenkleid trug.
    Oscar und Anis waren hingerissen. Francesca stellte ihnen freundliche Fragen. Oscar hatte seinen Urlaub in Madagaskar verbracht, als eine Art Lotse für einen Filmemacher, der einen Dokumentarfilm über Paulhans langen Madagaskaraufenthalt vor dem Krieg drehte. Dabei hatte sich Paulhan als Dichter-Ethnologe betätigt, indem er möglichst viele der traditionellen Sprüche und Redewendungen gesammelt hatte. Anis hingegen sagte ganze Passagen von Zwetajewa auswendig her, aus den Briefen an Rilke. »Sie sind sich nie begegnet«, fügte sie in einem schwärmerischen Ton hinzu.
    Ivan schwieg.
    Um Mitternacht gab Francesca das Zeichen zum Aufbruch. »Vor der Tür steht ein Wagen, steigen Sie alle drei ein. Ich gehe zu Fuß nach Hause. Sie wissen ja, ich laufe gern.«

42
    I n den ersten Septembertagen füllte sich die Buchhandlung wieder, es kamen täglich mehr Kunden – als dächten die Franzosen jedes Mal, wenn sie das Kalenderblatt für den 1. September abreißen: Erster September? Verdammt, jetzt kommen die Neuerscheinungen, ich muss in die Buchhandlung.«
    Der gute Roman hatte sich nicht geändert, nach wie vor kümmerte man sich nicht sonderlich um die aktuellen Bücher. Hier bogen sich die Tische nicht unter den saisonalen Erzeugnissen, nur hier und da standen ein paar aus der Flut

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