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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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Ihnen auch Wie weit ist die Nacht ?«
    »Ein Kleinod. Ein witziger soziologischer Abriss des heutigen Italien.«
    Am liebsten von allen Büchern der beiden Schriftsteller sei ihm aber immer noch Die Sonntagsfrau , gestand Van. Das Gesicht der Dame wirkte plötzlich glücklich, als sie den Titel hörte.
    »›An dem Dienstag im Juni, an dem er ermordet werden sollte, sah der Architekt Garrone häufig auf die Uhr‹«, zitierte sie aus dem Gedächtnis.
    »Ein perfekter erster Satz«, sagte Van. »Dabei bin ich weiß Gott kein Anhänger des Glaubens, der erste Satz müsse der entscheidende Köder sein. Erinnern Sie sich auch noch an den letzten Satz?«
    »Nicht mehr wörtlich. Ich erinnere mich nur noch, dass der ganze Roman von der klassischen Frage in der Schwebe gehalten wird, die für den europäischen Roman der letzten beiden Jahrhunderte bestimmend ist: Fallen sie sich nun in die Arme oder nicht? Und diese Frage wird erst in den letzten Zeilen beantwortet.«
    »Genau. Die zwei oder drei letzten Seiten bestehen aus einem Dialog zwischen dem sympathischen Kommissar und der jungen hübschen Frau in diesem Buch, die ihn schon seit dreihundert Seiten sehr attraktiv findet. Sie sprechen über das Verbrechen, das im ersten Kapitel verübt wurde. Der Kommissar lüftet das Geheimnis. Wir erfahren, wer der Mörder ist und was ihn zu töten bewogen hat. Und dann erst, im letzten Satz, erfahren wir, wo das Gespräch stattgefunden hat: ›Nein!‹, rief Anna lachend. ›Das ist ja furchtbar spät!‹ Sie sprang aus dem Bett, leichtfüßig, und begann sich in aller Eile anzuziehen .«
    »Und da beklagen sich so viele meiner Bekannten, sie fänden nichts Gutes zu lesen. Wie absurd!«
    »Wie schade. Wohingegen Sie und ich jeden Monat ein Meisterwerk entdecken. Grund dafür ist, dass neunzig Prozent der veröffentlichten Romane Nicht-der-Mühe-wert-Bücher sind, um es frei nach Paulhan zu sagen. Die Kritik sollte sich nur mit den übrigen befassen, aber sie ist faul und leichtfertig.«
    »Und die Wahrheit ist ihr ziemlich egal. In ihr herrschen nur zwei Gesetze, Clan und Klüngel. Mit einem Wort, sie ist korrupt.«
    »Das wagte ich nicht zu sagen. Man beweihräuchert erbärmliche Bücher, und in dem ganzen Magma bleiben die Perlen unbemerkt. Durcheinander begünstigt definitionsgemäß das Mittelmaß.«
    »Und die Buchhändler, die keine Zeit zum Lesen mehr haben und einem jeden Mist anpreisen. Ein Wunderwerk – man muss ihnen nur zuhören. Darauf erwidere ich immer ganz schnell und monoton: ›Ein schwarzer Diamant. Unbedingt gleich lesen. Wirklich, ein Genie.‹ Dann sehen sie mich an, sie fragen sich, ob ich mich über sie lustig mache, und begreifen, dass genau das der Fall ist.«
    Sie wurde wieder ernster.
    »Wissen Sie, ich beobachte schon länger, was hier geschieht, wie Sie Widerstand zu leisten versuchten und wie man Ihnen Ihr gutes Handwerk legt. Ich habe Ihren Chef gefragt. Er gab mir genau die Antwort, die ich erwartet hatte: dass Sie ihn noch in den Ruin treiben würden. Wie sollte ich da widersprechen … Ich habe gründlich über all das nachgedacht. Ich glaube, dass Ihre Intuition die richtige ist, dass Sie nur den Fehler gemacht haben zu glauben, die ideale Buchhandlung könne in einem Ort von der Größe Méribels rentabel sein. Die ideale Buchhandlung, in der nur gute Romane verkauft werden, kann nur in einer Großstadt mit einer starken kulturellen Tradition bestehen, in London oder Paris. In einer Stadt dieser Größe, darauf könnte ich wetten, gibt es fünf- oder zehntausend Leute unserer Art, leidenschaftliche Romanliebhaber, die es satthaben, in vollgestopften Buchhandlungen Meisterwerke bestellen zu müssen, die nie vorrätig sind.«
    »Darauf könnte ich auch wetten«, sagte Van bewegt.
    »Ich weiß schon einen Namen für diese Buchhandlung«, sagte die Dame. » Der gute Roman wird sie heißen. Ich habe alles, was man für ein solches Unternehmen braucht. Mir fehlt nur noch der Buchhändler.«
    Van erhob sich langsam.

14
    H effner, bisher ganz professioneller Zuhörer, brach sein Schweigen.
    »Ich wagte nicht zu hoffen, dass Sie den Guten Roman meinten«, sagte er in einem Ton, der alle professionelle Distanz und Autorität verloren hatte. »Ich kenne Sie. Ich habe ein Abonnement bei Ihnen. Mein Name steht in Ihren Listen.«
    In einer Aufwallung von Dankbarkeit dachte Francesca an ihren Neffen, den Präfekten mit dem großen Herz. Und der hohen Intelligenz, fügte sie in Gedanken noch hinzu, bevor sie

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