Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
und Erzählungen zu berücksichtigen, aber sonst nichts.
Vans Miene verdüsterte sich.
»Dann werden wir also kein einziges Buch von Pierre Michon haben?«
»Also wirklich!« Francesca nahm die Hände vom Tisch. »So dumm werden wir wohl hoffentlich nicht sein! Wir werden ständig alles von Pierre Michon vorrätig haben, das ist doch selbstverständlich. Leben der kleinen Toten und Herr und Diener , um nur diese beiden zu nennen, sie sind mir die liebsten, da sagen wir einfach, sie seien Novellen, und die anderen, Rimbaud der Sohn oder La Grande Beune , bezeichnen wir als Kurzromane. Oder vielmehr, wir sagen gar nichts. Wir stellen sie einfach an einen guten Platz, voilà . Es gibt Bücher, die gehören zu keiner Gattung.«
Doch was Lévi-Strauss und Foucault anging, blieb sie unerbittlich. Der gute Roman werde keine Essays führen. Die neue Buchhandlung werde die zwei- oder dreitausendste der Stadt sein und keineswegs die erste Spezialbuchhandlung. Schließlich gebe es auch Buchhandlungen für Science-Fiction oder historische Werke oder deutschsprachige Bücher, dort würden auch nicht alle Bücher verkauft. Wer Essays suche, solle sie woanders kaufen.
»Und Neuerscheinungen?«, fragte Van. »Welchen Platz sollen sie in der Buchhandlung haben?«
»Ich wüsste nicht, warum wir Neuerscheinungen, wenn sie wirklich große Romane sind, ausschließen sollten. Sie werden die klare Unterscheidung zu schätzen wissen. In Frankreich dürften im Jahr nur zehn bis zwanzig große Romane erscheinen.«
»Man müsste ein Titan sein, um sie aus der Flut der Neuerscheinungen herauszufischen. Sie wissen es doch genauso gut wie ich, die wenigen rettenswerten Bücher sind nicht gerade in den Schlagzeilen zu finden.«
»Man könnte sich auch auf einen anderen Standpunkt stellen und den Parameter Neuheit völlig ausblenden. Wir könnten beschließen, Bücher nicht gleich bei Erscheinen zu führen, sondern es den anderen Buchhandlungen zu überlassen, die ofenwarme Ware zu verkaufen, und sie erst nachher, im abgekühlten, aber deshalb ja nicht schlechteren Zustand prüfen.«
»Wissen Sie, welchen Anteil die Neuerscheinungen am Umsatz einer allgemeinen Buchhandlung haben?«
»Einen großen, nehme ich an.«
»Der Verkauf von Neuerscheinungen macht fast achtzig Prozent des Umsatzes einer normalen allgemeinen Buchhandlung aus. Deshalb sind auch die offices so interessant, diese unwiderstehliche Erfindung der französischen Verlage, die den Buchhändlern ihre gesammelten Neuheiten unverlangt zuschicken, und zwar jede Woche, wobei die Buchhändler sich nicht in den Verteiler aufnehmen lassen müssen, jedoch durch günstigere Zahlungsmodalitäten, Preisnachlässe und die Möglichkeit, unverkaufte Exemplare zurückzugeben, einen starken Anreiz dazu erhalten.«
»Van, Der gute Roman wird keine normale Buchhandlung sein. Darauf setzen wir doch gerade bei dieser Art Wette. Unsere Kunden werden keine normalen Kunden sein. Unsere Kunden werden Leute sein, die nie ein Buch kaufen, weil es gerade erschienen ist, es sei denn, sie lieben dessen Verfasser besonders, sie kaufen aus anderen Gründen, die nichts mit dem Erscheinungsdatum zu tun haben, das ist ihnen egal. Es sind Leute, die wissen, was sie kaufen wollen, wenn sie eine Buchhandlung betreten, die schnurstracks auf den Buchhändler zugehen und sagen: ›Ich möchte Der junge Titus von Mervyn Peake.‹ Leute, die sich nicht darüber wundern, dass das Buch nicht vorrätig ist – sie hätten eher das Gegenteil erstaunlich gefunden –, und es ohne zu zögern bestellen, notfalls auch antiquarisch, denn es ist ihnen gleich, ob sie es einen oder acht Tage später bekommen. Und da sie einmal da sind, kaufen sie vielleicht noch zwei oder drei andere, die sie gar nicht im Sinn hatten, bevor sie das Geschäft verlassen.«
Van wirkte nachdenklich.
»Ja, es ist eine Wette, Sie haben es gesagt.«
»Eine tollkühne. Aber wenn Der gute Roman realisiert wird, dann soll er keine Buchhandlung wie alle anderen sein, da waren Sie doch mit mir einig? Außerdem machen wir uns das Leben unnötig schwer. Wir brauchen unsere Buchhandlung nur als Spezialbuchhandlung zu betrachten, dann wird alles klarer. In Kunstbuchhandlungen und solchen, die auf Maritimes spezialisiert sind, dürften die Neuerscheinungen auch nur einen kleinen Teil des Umsatzes ausmachen.«
Am dritten Abend ging es um die Frage, wie diese Romane ausgewählt werden sollten.
Van hatte diesen Augenblick ein wenig gefürchtet. Dies war der
Weitere Kostenlose Bücher