Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
nicht Calet, Dietrich, Fargue, Jouhandeau, Reverzy, Bove, Vialatte … In vier Jahrhunderten werden wir leicht hundertfünfzig bis zweihundert sehr große französische Autoren finden. Und bei vielen von ihnen wird es nicht infrage kommen, sich auf nur einen Titel zu beschränken. Ich sehe keine andere Möglichkeit, wir brauchen den ganzen Stendhal, den ganzen Flaubert, mindestens zehn Balzacs, zehn Zolas …«
»Und selbst in größerer zeitlicher Nähe werden wir die Qual der Wahl haben«, stimmte ihm Francesca zu. »Wenn ich nur an die in den letzten zwanzig Jahren erschienenen Romane denke, die ich wundervoll finde, dann kommen ungeheuer viele zusammen, Modiano, Michon, Laurrent, Gailly, Echenoz, Oster, Bobin, die beiden Rolin, Grenier, Roubaud, Rio, Bianciotti, Benoziglio, Bergounioux, Deville, Laclavetine, Cholodenko, Visage, Rousseau, Raphaële Billetdoux, Sylvie Germain, Annie Ernaux, Régine Detambel, Nicole Caligaris, Maryline Desbiolles«, sie holte Luft, »Carrère, Millet, Chevillard, Holder, di Nota …«
»Wissen Sie was?«, unterbrach Van ihre Aufzählung. »Bis morgen könnten wir beide, jeder für sich, eine solche Liste aufstellen. Machen wir es doch einfach. Dann sehen wir, wie viel Zeit wir brauchen und ob wir auf dreihundert Titel kommen.«
»Einverstanden. Versuchen wir’s. Jetzt zu den ausländischen Titeln. Dreihundert nichtfranzösische Romane sind auch nicht so viel, wenn man bedenkt, wie viele Länder es gibt. Dreißig italienische Romane, dreißig spanische, dreißig deutsche, dreißig belgische und niederländische, dreißig britische, dreißig amerikanische …«
»Nordamerikanische«, präzisierte Van. »Dreißig sind eigentlich lächerlich wenig für die Länder, die Sie eben nannten. Gerechterweise müssten auch sie jeweils mit dreihundert Romanen vertreten sein. Aber unsere Buchhandlung wird ja eine französ ischsprachige sein, diese Grundlage wollen wir beibehalten. Dreißig südamerikanische Romane, dreißig russische, dreißig aus den osteuropäischen Ländern, Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, dreißig aus den südslawischen Ländern und ihren Nachbarn, Serbien, Rumänien, Bulgarien …«
»… Albanien. Das Albanien Ismail Kadares.«
»Griechenland, Türkei …«
»Dreißig aus China und Japan …«
»… aus Korea, Vietnam, Indonesien.«
»Dreißig aus dem Iran, aus dem Irak und aus Syrien.«
»Dreißig aus Israel, Ägypten, dreißig aus Neuseeland und Australien …«
»Wir können schon aufhören«, sagte Ivan. »Wir sind weit über die dreihundert hinaus. Sie sehen, sechshundert Titel, das erscheint einem wie ein Ozean, aber im Vergleich zum literarischen Welterbe ist es eine Pfütze. Ich frage mich sogar, ob uns die Sechshundertergrenze bei dieser Liste nicht im Weg sein wird. Vielleicht ist es gar nicht so einfach, sich auf diese Anzahl zu beschränken. Vielleicht ist das die eigentliche Schwierigkeit, nur sechshundert Titel zu nennen.«
»Versuchen wir es«, bekräftigte Francesca. »Haben Sie bis morgen genug Zeit dazu?«
Am sechsten Abend kamen sie beide mit einem Listenentwurf. Beide hatten sie ihre Aufstellungen nicht zu Ende bringen können, dazu war ein Tag einfach zu kurz, aber sie zweifelten nicht mehr daran, dass es gelingen würde. Van hatte sich von den Regalen seines Bücherkellers inspirieren lassen und vom großen Annuaire der französischen Buchhändler, das er als seine Bibel bezeichnete und in dem unter anderem auch Rezensionen aller lieferbaren Bücher stehen. Francesca hatte ihren Tag im Internet verbracht, jeder Autor brachte sie auf einen weiteren, es war eine endlose Kette von Namen.
Dann kamen sie wieder auf das Komitee zu sprechen. Wie viele Mitglieder sollte es haben? Ohne weiter darüber zu reden, wie aus einer gemeinsamen Intuition heraus, einigten sie sich auf acht.
»Wir müssen also acht große Romanciers auswählen«, stellte Francesca fest.
»Große Prosaisten.«
»Acht treue Diener des Romans, die sich der Zahl von sechshundert Romantiteln furchtlos stellen.«
»Sehr richtig. Eine so hohe Messlatte wird zu einer wunderbaren Auswahl führen. Wer mitzuspielen bereit ist, wird auch ein hervorragender Spieler sein.«
»Wir müssen Leute finden, die alles gelesen haben.«
»Das liegt in der Natur der Sache.«
»Und was noch schwieriger ist, Leute, deren Vorlieben sich nicht zu sehr gleichen. Die sich überhaupt nicht zu sehr gleichen.«
Die Mitglieder dürften sich nicht gegenseitig beeinflussen, meinte
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