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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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Computer, mit der strengen Anweisung, sich nicht mehr aus der Welt des Gutes Romans – Website, Bulletin, Forum – wegzurühren und jedes Anzeichen von Neugier auf einen Titel oder Autor sofort zu melden.
    Ganz allmählich und ohne dass er es bemerkt hätte, wurde Van berühmt. Er war allerdings auch außerordentlich telegen. Ausgerechnet er, der so wenig auf sein Äußeres achtete, anzog, was gerade da war, sich kaum je kämmte und sich glattweg weigerte, sich vor den Auftritten schminken zu lassen, wirkte auf dem Bildschirm völlig natürlich und viel selbstbewusster als im normalen Leben. Er drückte sich einfach, sehr präzis und mit Humor aus und sprach mit solcher Begeisterung von den Büchern, dass alle, die er nannte, an den Tagen darauf weggingen wie warme Semmeln. Er verkörperte auf ideale Weise die Absicht des Guten Romans , alle und jeden an der besten und liebenswertesten Literatur teilhaben zu lassen. Seine spitzbübische, koboldhafte Art, die an eine Märchengestalt erinnerte, bezauberte die Zuschauer, sie verlangten nach ihm. Entsprechend oft fragten auch die Fernsehleute bei ihm an, doch Van sagte nur zu, wenn er über Literatur, und zwar ausschließlich, reden durfte, und dabei wurde er, ohne es angestrebt zu haben, zum Fernsehstar, zu einem Mann, der aus einer Kultursendung eine Sendung fürs Massenpublikum machen konnte.
    Es gab nur ein Problem, winzig zwar, aber doch von der Sorte, die irritiert und für die es eingestandenermaßen keine Lösung gibt. Manche beklagten es, doch der Name Der gute Roman brachte einen in die gleiche Verlegenheit wie Der Zauberberg . In Gesprächen, manchmal sogar schriftlich teilte man mit, man habe dies oder jenes Buch im Guten Roman entdeckt, genauso wie man auch »Ich habe das im Zauberberg gelesen« sagen und das »Der« einfach dem eigenen Satzbau anpassen würde. Die Puristen empörten sich darüber. »Was sollte man Ihrer Meinung nach tun?«, pflegte Ivan sie dann zu fragen. Worauf sie nur mit hilflos-unzufriedenem Achselzucken reagierten.
    Ivan hatte seine letzten Worte mit einer Nachahmung dieses Achselzuckens illustriert. Nun schwieg er. Francesca hatte den Blick nicht von ihm gewandt, während sie zuhörte, angespannt, ernst und hin und wieder, bei der Erwähnung eines Namens oder einer Begebenheit, lächelnd. Dann erhellte sich ihr Gesicht für einen Augenblick wie ein grauer Tag, wenn unverhofft die Sonne durchbricht und ihn verwandelt.
    Manches lässt sich nur durch Metaphern beschreiben, dachte Heffner, der Francesca nun schon eine Stunde beobachtet hatte und dem dieses Bild mehrmals in den Sinn gekommen war. So ist es eben.
    Jetzt sah Francesca ihn an. »In einer Liebesgeschichte«, sagte sie langsam und in dem Ton, in dem man einem Kind ein Märchen erzählt, »gibt es manchmal nach einer sehr langen Zeit der Bewährung – Erschrecken, Beobachten, Verzweiflung, vorsichtiges Berechnen, Hoffen – einen beschleunigenden Impuls – Unfall, entscheidende Geste, Tränen, Offenbarung der Gefühle –, und ganz im Gegensatz zu den düsteren Erwartungen, auf die man sich, vermutlich um sich auf das Schlimmste vorzubereiten, konzentriert hatte, herrscht plötzlich ein völliges Einverständnis und beiderseitiger Jubel. Darauf folgt eine Phase, in der man mit verblüffender Leichtigkeit von einer überwältigenden Freude zur anderen geht und gar nicht mehr versteht, warum man nicht schon früher über seinen Schatten gesprungen ist. An diese Folge von Glücksgefühlen erinnert man sich später wie an eine wunderbare Geschichte, die andere erlebt haben.«

29
    B leiben wir noch ein bisschen im Jahr 2004, in den letzten Monaten«, bat Heffner, als wolle er das glückliche Kapitel der Geschichte ein wenig verlängern.
    »Bald schon wurde es Winter«, sagte Van.
    Er wandte sich an Francesca.
    »Erinnern Sie sich noch an den Weihnachtstag?«
    Francesca hatte in einem Gasthof mitten im Wald von Marly ein Mittagessen organisiert. Der Boden war mit einer dünnen Schicht Pulverschnee überpudert. Nach dem Essen hatten sie einen Spaziergang zwischen den schwarz in den Himmel ragenden Bäumen gemacht, schweigend, nur der gefrorene Boden knirschte unter ihren Sohlen.
    »Waren Sie allein?«, fragte Heffner.
    »Nur Ivan und ich«, bestätigte Francesca. »Oscar feierte mit seiner Familie Weihnachten. Er hat vier Schwestern und einen ganzen Schwarm von Nichten und Neffen. Henri war anderweitig verabredet.«
    Eigentlich habe Francesca alle für eine Woche nach Méribel

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