Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Triumphe feierte.
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S chon in der Woche darauf, in dieser ganz besonderen Woche zwischen Weihnachten und Neujahr, in der ziemlich viele Städter zu Hause Ferien machen und von etwas kindlichen Gelüsten – übermäßig lange schlafen oder nachmittags um vier heißen Kakao trinken – heimgesucht werden, verhielt sich Francesca ganz anders und traf energisch die nötigen Entscheidungen für die Umgestaltung der noch leeren Erdgeschossflächen in der Rue Dupuytren. Es würde nun doch keinen Veranstaltungsraum geben, aber das machte nichts. Die Buchhandlung brauchte mehr Platz. In den vier Monaten seit der Eröffnung hatte sich der Bestand um zwölfhundert neue Titel vergrößert. Und vor allem kamen jeden Tag sehr viele Leute in die Buchhandlung. Es würde nicht schaden, die Verkaufsfläche um ein Drittel zu erweitern.
Die Gestaltung war einfach, die gleichen Holzregale wie schon vorhanden, die gleichen Tische und Bänke, die gleiche Beleuchtung.
Ivan zählte die Tage. Ungeduldig wartete er auf ein Zeichen von Anis, denn, wie er sich eingestehen musste, sein Verzicht auf Initiativen war eigentlich kein echter Verzicht, sondern ein klassisches Manöver, er unternahm zwar selbst keinen Annäherungsversuch, hoffte aber natürlich, dass sich das Pendel automatisch wieder in Gegenrichtung bewegen würde, entsprechend einem unterstellten Naturgesetz, wonach man gerade dann von der Person, deren Aufmerksamkeit man vergeblich auf sich zu ziehen versucht hat, mit besonderem Interesse betrachtet wird, wenn man selbst entschlossen den Blick abwendet.
Am Donnerstag, dem 6. Januar, hatte Der gute Roman in den Tages- und Wochenzeitungen wieder eine volle Werbeseite.
Das Team des Guten Romans – das weder durch Namen noch ansonsten genauer definiert wurde – dankte in wenigen groß gedruckten Worten allen Lesern und Käufern, die dem Unternehmen innerhalb eines Vierteljahrs zum Erfolg verholfen hatten. Unterlegt war der Text mit einem Foto des gut besuchten Innenraums der Buchhandlung in Farben wie von El Greco, Blau- und Karmintöne in einer Art Gegenlicht. Der Geschäftserfolg wurde in einigen Zahlen dargelegt, Durchschnitts-Kundenzahl pro Tag, die Gesamtzahl in vier Monaten, die ansteigende Kurve – und dasselbe für den Verkauf, zwei Zahlen und eine Grafik, Tagesdurchschnitt, Gesamtziffer, und die so schön ansteigende Kurve.
Unten auf der Seite stand: »Schon wirft die Buchhandlung einen Gewinn ab. Doch das ist nicht das Wesentliche. Der gute Roman ist mehr als ein Geschäft, er ist eine Bewegung.«
War das der Fehler? Waren diese Zeichen eines Erfolgs, der sich noch zu steigern versprach, eine Provokation? War diese Ankündigung einer Bewegung unerträglich? Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Sie erfolgte in unterschiedlichen Formen, die so offensichtlich aufeinander abgestimmt waren, dass es sich um eine konzertierte Aktion handeln musste.
Ein neuer Kundentyp stellte sich ein, diese Leute gaben gar nicht erst vor, nach einem Buch zu suchen, sie gingen schnurstracks zur Kasse und protestierten: »Ich sehe hier nichts von Helen Fielding, Dan Brown, Danielle Steel.« Van und Oscar waren auf diese Angriffe vorbereitet. Sie wussten, dass ein Buchhändler sich nicht weigern darf, ein lieferbares Buch zu verkaufen. »Wir haben nicht alles vorrätig«, sagten sie dann. »Sollen wir es Ihnen bestellen?« Jedes Mal lautete die Antwort Ja.
Manche dieser Kunden hatten einen bestimmten Titel im Kopf. Andere wollten, dass man ihnen die Taschenbuchausgaben der Bücher eines Autors heraussuchte. Sie zögerten lange, trödelten vor der Kasse herum und sprachen sehr laut. Oscar verzog ebenso wie Van keine Miene.
Sehr bald schon zeigte sich dieser Kundentyp ziemlich häufig. Ende Januar kamen fünfzehn bis zwanzig von ihnen in die Buchhandlung. Van und Oscar bemerkten Ähnlichkeiten. Man konnte diese Leute nicht von vornherein vom Roman-Narren unterscheiden, denn dieser zeigt keine besonderen äußeren Zeichen seiner Verrücktheit, es waren in etwa ebenso viele Männer wie Frauen, alle eher jung. Doch sobald sie den Mund aufmachten, um nach einem Buch zu verlangen, bemerkte man den völligen Mangel an Begeisterung – sie schienen eher eine Lektion aufzusagen – und an Kenntnis, denn sie sprachen die Namen falsch aus.
»Wir stellten ihnen dann Fangfragen«, erklärte Ivan. »Zum Beispiel: ›Welche Danielle Steel meinen Sie, die amerikanische oder die australische?‹ Darauf wussten sie keine Antwort. Wahrscheinlich hatte
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