Der Zauber des Engels
er und holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. »Aber für mich sieht das nach einem völlig aussichtslosen Unterfangen aus. Zumal es ja nicht nur darum geht, alle Teile zu einem Ganzen zu fügen. Und überhaupt, woher weißt du, was an welche Stelle muss und was möglicherweise fehlt?«
»Tja, genau das ist das Problem«, antwortete ich. »Wenn wir irgendwo ein Foto oder den Originalentwurf finden könnten, hätten wir eine wesentlich bessere Chance …«
»Das ist noch längst nicht alles«, unterbrach er mich, »denn die Szene auf dem Fenster, das jetzt in der Kirche installiert ist, kann sich durchaus sehen lassen. Hat schon mal jemand darüber nachgedacht, was daraus werden soll?«
»Keine Ahnung. Ich vermute, darüber muss der Kirchenvorstand entscheiden.« Bestimmt war er sauer, weil er die Orgel gern restauriert haben wollte, aber warum machte er mich dafür verantwortlich?
Er zuckte mit den Achseln. »Ja, wahrscheinlich.«
Ich sah zu, wie er durch die Werkstatt lief, die Tür des Trockenofens öffnete, um hineinzusehen, auf kleine Dosen mit Farbe und Säcke mit Zement zeigte und wissen wollte, was man damit macht. Ich hielt ihm eins von Zacs Kaleidoskopen ins Licht. Überrascht brummte er ein paar Worte vor sich hin, während er hineinschaute und die Murmel drehte.
Ein Mann kam herein, um einen Paravent abzuholen, den ich für seine Frau repariert hatte. Als ich in die Werkstatt zurückkam, betrachtete Ben gerade eine Serie wunderschöner kleiner Rauten aus mehrfarbigem Glas, die Zac auf einem Regal aufgereiht hatte. Das Glasschmelzen war bei Leuten, die eigenen Schmuck herstellten, sehr beliebt. Es machte großen Spaß, kleine Stücke zu formen und dann in der Mikrowelle zu brennen, auch wenn es ziemlich kompliziert war, die richtige Temperatur und die richtige Brenndauer zu ermitteln.
Ein blaugrün schimmerndes Stück, das so irisierend war wie ein Schmetterlingsflügel, faszinierte Ben besonders. Spontan schenkte ich es ihm.
»Meinst du wirklich?«, fragte er überrascht. »Tausend Dank.« Er steckte es vorsichtig in seine Jackentasche und bedachte mich mit einem seiner tiefen Blicke, an die ich mich inzwischen schon gewöhnt hatte.
Ich folgte ihm aus der Tür und wartete darauf, dass er das Abendessen erwähnte. Stattdessen sagte er nur: »Nochmals vielen Dank. Wir sehen uns dann zur Chorprobe.« Dann war er fort, und ich fragte mich, warum er in Wahrheit gekommen war.
Ich blickte ihm nach, wie er die Straße überquerte. Als er die kleine Grünanlage erreichte, drehte er sich um, sah, dass ich ihm nachschaute, und winkte mir kurz zu.
Als Zac am Nachmittag zurückkam, zeigte ich ihm Laura Brownlows Tagebuch und berichtete, dass es sich bei dem Künstler um Philip Russell handelte.
»Ich habe noch nie was von ihm gehört«, sagte er nachdenklich, nahm mir das Buch aus der Hand und versuchte, die Handschrift zu identifizieren. Dann gab er es mir schulterzuckend zurück. »Du musst mir alles erzählen, was du über das Fenster herausfindest.«
»Das werde ich tun. Außerdem muss ich es unbedingt dem Pfarrer zeigen.« Wieder rief ich im Pfarrhaus an. Dieses Mal war der Anschluss besetzt. Offenbar war jemand zu Hause, daher beschloss ich, kurz vorbeizugehen. Zac versprach, solange ein Auge auf den Laden zu werfen. Mit dem Tagebuch in einer Plastiktüte marschierte ich los. Das Haus Vincent Street 44 entpuppte sich als kleines Reihenhaus aus roten Ziegelsteinen im edwardianischen Stil. Es konnte sich also definitiv nicht um das Pfarrhaus von Lauras Vater handeln.
Sarah Quentin bat mich herein. Ihr Mann sei unterwegs, sagte sie, sie würde ihn aber jeden Moment zurückerwarten.
»Er wollte nur schnell den Kopierer im Pfarramt benutzen«, ergänzte sie. Sie war eine kleine, rundliche Frau etwa Mitte fünfzig, die eine große Ruhe ausstrahlte.
Aus dem Moment wurden zwanzig Minuten. Ich saß am Tisch in der unordentlichen Küche und trank Tee, und als ich sie auf einen Stapel Papiere ansprach, den sie offenbar gerade sortierte, berichtete sie mir von einem Projekt der Pfarre, eine weitere Unterkunft für Obdachlose einzurichten.
»Wir warten noch auf eine Entscheidung über Zuschüsse vom Land«, erklärte sie. »Der Papierkrieg ist unvorstellbar. Jeremy ist ständig bei irgendwelchen Besprechungen zu diesem Thema.«
Ab und zu schaute sie mich neugierig an. Und dann sagte sie plötzlich Worte, bei denen ich mich fast an meinem Tee verschluckte.
»Wissen Sie was? Sie sehen Ihrer Mutter
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