Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
Vom Netzwerk:
blickte, spürte sie sofort, dass ich ihn gerne kurz unter vier Augen sprechen wollte.
    »Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden«, sagte sie liebenswürdig. »Es war schön, mit Ihnen zu plaudern, aber jetzt muss ich die Wäsche reinholen.« Sie entriegelte die Hintertür, und wir sahen durchs Fenster zu, wie sie trotz ihrer rundlichen Figur mit ruhigen Schritten durch den winzigen Garten ging.
    »Meine Frau freut sich, dass Sie uns besucht haben«, sagte der Pfarrer. »Sie vermisst unsere Töchter sehr.«
    »Wie viele Töchter haben Sie denn?«
    »Zwei. Fenella ist fünfundzwanzig. Sie arbeitet in Manchester und ist mit einem netten jungen Mann verlobt, den sie dort kennengelernt hat. Und Miranda geht in Bristol aufs College. Das sollte sie zumindest, aber sie hat sich ein Jahr Auszeit genommen. Miranda macht uns leider eine Menge Probleme.« Er unterbrach sich traurig. »Das ist nicht leicht für uns. Aber ich will mein Herz nicht auf der Zunge tragen. Sie hatten noch eine Frage, oder?«
    »Ja.« Ich holte tief Luft. »Jeremy, was würden Sie sagen, wie gut kennen Sie meinen Vater?« Ich wollte die Wahrheit wissen, auch wenn ich Angst vor ihr hatte.
    Er schwieg einen Moment, klappte seine Brille zusammen und schob sie in die Hemdtasche. »Ich bin froh, dass Sie mir diese Frage stellen, Fran. Bis letztes Jahr hatten wir ein- oder zweimal beruflich miteinander zu tun. Er interessierte sich für die Fenster. Aber dann kam er vor ungefähr einem Jahr zu mir und bat mich um meinen Rat als Priester. Wir haben uns ein paarmal zum Gespräch getroffen, und ich hatte das Gefühl, dass wir Freunde geworden sind. Wir sind gleich alt, und wie ich bereits sagte, er ist ein interessanter Mensch. Er kennt sich in seinem Metier ungeheuer gut aus – ich finde das faszinierend. Wussten Sie …?«
    »Ja, ja«, unterbrach ich ihn. Er schien meine Verzweiflung zu registrieren, denn plötzlich widmete er mir seine ganze Aufmerksamkeit.
    »Wie soll ich sagen«, fuhr ich fort, »mein Vater war mir immer ein Rätsel, und wir haben uns … ziemlich auseinandergelebt. Ich kann nicht wirklich behaupten, viel über ihn zu wissen und ihn gut zu kennen.«
    »Niemand von uns kann sagen, dass er jemanden gut kennt, oder?«, meinte Jeremy nachdenklich.
    »Das ist sicher richtig. Aber er hat mir eine Menge verschwiegen, vor allem im Hinblick auf meine Mutter. Dinge, die zu wissen ich ein Recht habe.«
    »Sie möchten also, dass ich Ihnen verrate, was er mir in strengstem Vertrauen erzählt hat«, meinte er schließlich. »Das hatte ich befürchtet. Aber ich muss Ihnen leider sagen, dass ich das nicht kann. Sie müssen verstehen …«
    »Ich weiß ja. Aber Sie haben ihn doch selbst gesehen. Vielleicht wird er nie wieder gesund.«
    »So Gott will, doch«, antwortete Jeremy. »Ich habe großes Mitgefühl mit Ihnen, glauben Sie mir. Aber die Richtlinien meines Berufs sind in dieser Angelegenheit klar und eindeutig. Ich würde das in mich gesetzte Vertrauen missbrauchen.«
    »Und was ist mit mir? Muss ich jetzt leiden, wegen Ihrer Richtlinien?«
    »Meine liebe Fran, wir hoffen alle, dass Ihr Vater wieder gesund wird. Und solange es keine ungünstige Prognose gibt, wäre es falsch, etwas anderes anzunehmen. Was ist, wenn es ihm wieder besser geht, und er dann erfährt, dass ich seine größten Geheimnisse ausgeplaudert habe? Das könnte die Beziehung zwischen Ihnen für immer zerstören – und mir würde er ganz sicher auch nicht mehr vertrauen. Ich kann mir gut vorstellen, wie ungeheuer schwer es für Sie ist …« Er klang auf einmal ungeduldig.
    Wütend verließ ich schließlich das Pfarrhaus, sehr wütend. Natürlich war mir klar, dass Jeremy recht hatte und seine Schweigepflicht nicht verletzen durfte. Trotzdem erschien es mir in dieser besonderen Situation ungerecht, und ich war tief verletzt. Wie hatte Dad sich ihm anvertrauen können, ohne je mit mir zu sprechen? Was um alles auf der Welt war es, dass er es seinem einzigen Kind nicht erzählen konnte? Ein weiterer Gedanke kam mir, der mich verbitterte – vielleicht lernte ich Dad erst nach seinem Tod richtig kennen. Nein, natürlich wollte ich nicht, dass er starb. Aber was gab es für eine Alternative? Vielleicht würde er noch jahrelang leben, und ich wäre mit ihm in dieser unglücklichen Situation gefangen, vertraut mit seinen körperlichen Bedürfnissen, ihm als Person aber nie nahe. Das konnte nur heißen, ich würde niemals etwas über meine Mutter erfahren; und ich würde niemals

Weitere Kostenlose Bücher