Der Zauber des weissen Wolfes
Höhlenboden nach unten.
»Dies ist keine Höhle«, flüsterte Elric, »sondern ein Tunnel, aber ich habe keine Ahnung, wohin er führt.«
Mehrere Stunden lang wanderten sie durch die pechschwarze Dunkelheit und klammerten sich dabei aneinander: immer wieder gerieten sie ins Taumeln auf der Schräge, die sachte in die Tiefe führte. Sie verloren jedes Zeitgefühl, und Elric begann sich einzubilden, daß sie sich durch einen Traum bewegten. Die Ereignisse schienen dermaßen unvorhersehbar und unkontrollierbar zu sein, daß er es nicht mehr ertragen konnte, sie sich in gewöhnlichen Begriffen vorzustellen. Der Tunnel war endlos und dunkel und breit und kalt. Er bot keine Bequemlichkeit, und nach einiger Zeit war der Felsboden das einzige, was überhaupt noch eine gewisse Realität besaß. Der Boden lag fest unter seinen Füßen. Elric begann sich vorzustellen, daß er möglicherweise gar nicht vom Fleck kam, daß wohl nur der Boden sich bewegte und er an der Stelle verharrte. Seine Gefährten klammerten sich an ihm fest, doch er merkte nichts davon. Er fühlte sich verloren, sein Gehirn war wie betäubt. Zuweilen taumelte er und glaubte am Rande eines Abgrunds zu stehen. Dann wieder stürzte er, und sein ächzender Körper prallte auf hartes Felsgestein und widerlegte seine Annahme von dem Abgrund, in den er schon halb zu stürzen wähnte.
Die ganze Zeit über zwang er seine Beine zum Ausschreiten, obwohl er nicht sicher war, ob er wirklich vorwärtskam. Und die Zeit verlor an Bedeutung - wurde zu einem sinnlosen Begriff ohne jeden Bezug.
Bis er schließlich einen schwachen blauen Schimmer vor sich wahrnahm und erkannte, daß er doch vorangekommen war. Er begann die Schräge hinabzulaufen, stellte aber fest, daß er dabei zuviel Tempo bekam - und hielt sich zurück. Ein fremdartiger Geruch lag in der kühlen Luft des Höhlentunnels, und Angst überschwemmte ihn wie eine flüssige Kraft, etwas, das mit ihm selbst nichts zu tun hatte.
Die anderen empfanden offenbar ähnlich: Elric spürte das, obwohl sie nichts sagten. Langsam und mechanisch schritten sie weiter, wie Maschinen von dem hellblauen Schimmer unter sich angezogen.
Und dann waren sie aus dem Tunnel heraus und starrten ehrfürchtig auf die überirdische Vision, die vor ihnen aufragte. Die Luft ringsum schien von demselben seltsamen Blau zu sein, das sie angelockt hatte. Sie standen auf einer vorspringenden Felsformation, und obwohl es noch immer irgendwie dunkel war, erhellte der unheimliche blaue Schein einen leuchtenden Silberstrand unter ihnen. Und gegen den Strand brandete ein Meer, das sich wie ein flüssiger Riese in unruhigem Schlaf bewegte. Am Silberstrand ragten die vagen Umrisse von Wracks auf - die Skelette absonderlich geformter Boote, jedes anders entworfen als die anderen. Das Meer streckte sich in die Ferne, es gab keinen Horizont, nur Schwärze. Hinter sich machten die drei eine steile Klippe aus, die sich in einer bestimmten Höhe ebenfalls in Dunkelheit verlor. Es war kalt, unglaublich kalt. Denn obwohl das Meer unter ihnen anbrandete, gab es keine Feuchtigkeit in der Luft, keinen Salzgeruch. Es war ein abstoßender und erstaunlicher Anblick, und von dem Meer abgesehen, waren sie die einzigen, die sich bewegten, die ein Geräusch erzeugten, aber das Meer war trotz seiner ruhelosen Bewegung auf schreckliche Weise stumm.
»Was nun, Elric?« fragte Mondmatt erschau- dernd.
Elric schüttelte den Kopf, und sie standen lange auf dem Felsabsatz. Endlich sagte der Albino, dessen bleiches Gesicht und weiße Hände im unterirdischen Licht gespenstisch schimmerten: »Da eine Rückkehr sinnlos wäre, müssen wir uns auf das Meer hinauswagen.«
Seine Stimme klang hohl, und er sprach wie ein Mann, der sich seiner Worte gar nicht bewußt ist.
Stufen, die ins Gestein gemeißelt worden waren, führten zum Strand hinab, und Elric stieg sie hinunter. Die anderen ließen sich von ihm führen und blickten um sich, und in ihren Augen war ein Ausdruck von Schrecken und Faszination.
4
Ihre Füße störten die Stille, als sie den Silberstrand aus Kristallsteinen erreichten und sich knirschend darüber bewegten. Elrics rote Augen richteten sich auf eines der Gebilde, mit denen der Strand übersät war, und er lächelte. Energisch schüttelte er den Kopf hin und her, als versuche er einen klaren Gedanken zu fassen. Zitternd deutete er auf ein Boot, und seine beiden Begleiter erkannten, daß es im Gegensatz zu den anderen völlig intakt war. Es schimmerte
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