Der Zauber einer Winternacht
ist, wenn dir etwas passiert? Hier kann dir niemand helfen!“
„Was soll denn schon sein?“, brummte John. „Dann sterbe ich als glücklicher Mann. Das gefällt mir allemal besser als die Vorstellung, als Pflegefall in einem Altenheim dahinzuvegetieren.“
Gillian ignorierte den warnenden Blick, der diese Aussage begleitete, und blieb beharrlich. „Das ändert aber nichts daran, dass wir uns große Sorgen um dich machen.“
Ihr Vater beugte sich vor: „Jetzt hör mir mal gut zu, Tochterherz. Ich habe dich nicht darum gebeten, hierherzukommen, um dir den Kopf über mein Wohlergehen zu zerbrechen. Ich möchte nur eins: dass ihr beide mir helft, ein paar Dinge zu regeln. Mehr nicht. Niemand schiebt mich aufs Altenteil ab, auch du nicht.“
Gillian gefiel sein tadelnder Ton ganz und gar nicht. Warum gab ihr eigentlich jeder das Gefühl, die Böse zu sein, nur weil sie es wagte, ihre Befürchtungen in Worte zu fassen? Sie hatte schon zu viel verloren. Den Gedanken, auch noch ihren Vater zu verlieren, konnte sie nicht ertragen.
„Außerdem ist ja auch noch Dustin da“, fügte John missmutig hinzu. Dustin war der Vorarbeiter der Ranch. Er lebte in einem kleineren Haus in unmittelbarer Nähe. „Er und Bette schauen hier jeden zweiten Tag nach dem Rechten.“
Gillian wollte gerade darauf hinweisen, dass das ihrer Meinung nach nicht ausreichend war, als Bryce sich mit einer Frage einmischte.
„Wie geht es den Nickelsons denn?“
Obwohl sich die Spannung im Zimmer durch den Themenwechsel legte – was Bryce wohl auch beabsichtigt hatte –, war Gillian nicht sicher, ob sie darüber froh sein sollte. Früher oder später würden sie doch wieder auf die Frage zurückkommen müssen, wie lange ihr Vater noch allein auf der abgelegenen Ranch bleiben konnte. Bryce war möglicherweise der Meinung, dass sie das Thema zu früh angeschnitten hatte, aber es lag ihr einfach nicht, Unausweichliches auf die lange Bank zu schieben, mochte es auch noch so unangenehm sein. So wie das Einreichen ihrer Scheidung so kurz nach Bonnies Tod.
„Dustin und Bette haben heute Morgen einen Weihnachtsbaum vorbeigebracht“, sagte John und deutete auf die schön gewachsene Blautanne, die in einer Zimmerecke an der Wand lehnte. „Ich schaffe es dieses Jahr nicht, ihn aufzustellen und zu schmücken. Es wäre nett, wenn ihr beide das übernehmen könntet. Zeit genug, uns daran zu erfreuen, werden wir ja vermutlich haben.“
Ihr Vater gab zu, dass ihm etwas schwerfiel! Das hatte Gillian nie zuvor erlebt. Jetzt tat es ihr leid, dass sie ihm insgeheim gewisse Hintergedanken unterstellt hatte, warum er sie beide hierherbat. Der Tannenduft des Weihnachtsbaums versetzte sie in die Zeit zurück, als sie die Festtage noch von Herzen genießen konnte.
Seit Bonnies Tod hatte sie keinen Baum mehr gekauft, geschweige denn geschmückt. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, sich einen kleinen künstlichen Weihnachtsbaum zuzulegen, der kaum Mühe machte. Zumindest nicht die Mühe, Schachteln mit Christbaumschmuck durchstöbern zu müssen. Viel zu groß war ihre Angst, dabei auf Teile zu stoßen, die mit „Bonnies erstes Weihnachtsfest“ beschriftet waren.
Gillian zwang sich zu einem fröhlichen Lächeln und sagte: „Natürlich, Dad. Das machen wir doch gern.“
„Ich hole morgen den Christbaumschmuck vom Speicher – sofern du ihn immer noch dort aufbewahrst“, bot Bryce an.
Den Baum zu schmücken war das Mindeste, was sie für den Mann tun konnten, der so viel für sie getan hatte. Zumal dieses Weihnachtsfest durchaus das letzte werden könnte, das er zu Hause beging. Gillian erschauerte bei diesem Gedanken. Ihr Vater wirkte so munter wie eh und je und sah viel besser aus, als sie erwartet hatte. Stella hatte so getan, als stünde er bereits an der Schwelle des Todes.
Konnte es tatsächlich sein, dass ihre Schwestern seinen Gesundheitszustand falsch einschätzten?
Dass Bryce mit seinem Verdacht recht haben könnte, die beiden hätten vor allem ihren Vorteil im Auge und malten die Lage deshalb so schwarz, mochte sie nicht in Betracht ziehen. Zum Abendessen hatte John Baron Chili con Carne vorbereitet, und das war so scharf ausgefallen, dass zumindest eins feststand: Sein Magen war so robust wie eh und je. Gillian genoss den feurigen Geschmack, der sie lebhaft an Kindertage erinnerte, und aß mit großem Appetit.
Ihr gegenüber saß Bryce. In seinen knapp sitzenden Jeans und dem dunklen Pullover sah er unverschämt gut aus. Die Jahre hatten
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