Der Zauber eines fruehen Morgens
behaupten, dass sie vor Freude außer sich sein werden«, meinte Miranda bekümmert. »Aber ich habe dir ja schon erzählt, wie meine Mutter ist. Doch das ist mir egal, ich gehöre zu dir, diese Kröte müssen sie eben schlucken.«
»Meinst du, sie werden finden, dass ich nicht gut genug für dich bin?«
»Das wäre in ihren Augen keiner, es sei denn, der Betreffende käme aus dem Hochadel.« Sie seufzte. »Aber zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Du heiratest mich, nicht meine Mutter.«
Belle schlief, als Miranda lange nach Mitternacht zurückkam. Sie war so aufgeregt, dass sie ihre Freundin einfach wecken musste.
»Es ist doch noch nicht morgen, oder?«, murmelte Belle schlaftrunken, als Miranda sie an der Schulter schüttelte.
»Nein, aber ich muss dir etwas erzählen, das nicht bis morgen warten kann.«
Das Mondlicht war gerade hell genug, dass Miranda sehen konnte, wie Belle sich die Augen rieb. »Ich hoffe für dich, dass es eine wirklich gute Nachricht ist«, brummte sie.
»Ist es. Will hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Ich gehe mit ihm nach Amerika, wenn der Krieg vorbei ist. Ist das nicht toll? Ich bin ja so glücklich!«
Belle setzte sich auf, nahm Mirandas Hand und drückte sie. »Das ist eine wundervolle Neuigkeit. Ich freue mich aufrichtig für dich. Willst du hier heiraten?«, wisperte sie.
»Das haben wir noch nicht entschieden. Ich würde gern, aber er möchte seine Familie dabeihaben. Das können wir alles am Wochenende besprechen.«
»Wirst du es deinen Eltern sagen?«
»Nein. Mama veranstaltet bestimmt ein fürchterliches Theater. Ich werde sie vor vollendete Tatsachen stellen.«
»Ich hoffe, die Hochzeit findet hier statt, damit ich dabei sein kann«, sagte Belle. »Aber kann ich jetzt weiterschlafen?«
»Es heißt: ›Darf ich jetzt weiterschlafen‹«, korrigierte Miranda sie kichernd. Sie verbesserte ständig Belles Sprechweise – es war ein alter Witz bei den beiden, dass sie Belles Grammatiklehrerin sei.
»Dann darfst du dich jetzt verziehen«, sagte Belle. »Und vergiss nicht, dass ich Trauzeugin sein will!«
Sonnabend war es ausnahmsweise einmal trocken, wenn auch kühl. Erst am Nachmittag hatte einer der französischen Rettungsfahrer gemeint, dass dies der regenreichste Sommer sei, an den er sich erinnern könne. Rund um das Lazarettgelände standen überall riesige Wasserlachen, die allen bewusst machten, wie furchtbar die Bedingungen für die Soldaten an der Front sein mussten.
Miranda traf sich mit Will um sechs Uhr an der üblichen Stelle. Es war das erste Mal seit dem Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten, dass sie einander bei Tageslicht trafen, und ihr fiel gleich auf, dass der Wagen gewaschen und poliert war. Das war typisch für Will. Miranda roch, dass er nach Zitronenseife duftete, als sie ihn küsste, und er trug zwar wie immer Uniform, doch sie war frisch gebügelt, und seine Stiefel waren blank geputzt.
»Ich dachte, heute würde es nie Abend werden«, sagte er und barg sein Gesicht an ihrem Hals. »Die anderen haben mich ganz schön auf die Schippe genommen. Angeblich habe ich ständig auf die Uhr geschaut.«
»Ich auch«, gestand sie. »Wir hatten furchtbar viel zu tun, und meine Gangschaltung hat dauernd geklemmt, und jetzt tut mir vom Schalten der Arm weh. Ich hatte gehofft, noch schnell baden zu können, bevor wir uns treffen, doch das hat leider nicht geklappt. Und du siehst so proper aus!«
Will hatte noch nie so gut ausgesehen. Seine Haut war goldbraun, seine Augen glänzten, und sein dunkles Haar war sauber und akkurat geschnitten. Ihr Herz schlug schneller, als sie an die Nacht dachte, die vor ihnen lag, doch sie wünschte, sie hätte Zeit gehabt, sich für Will schön zu machen.
»Für mich siehst du toll aus, einfach zum Anbeißen«, sagte er. »Los, fahren wir, bevor du es dir anders überlegst!«
Obwohl Frankreich ein Kriegsgebiet war mitsamt den Verwüstungen, die während der Kämpfe entstanden waren – mit Schlachtfeldern, wo kein Baum, kein Strauch mehr stand, Massengräbern, hastig errichteten Feldlazaretten, Vorratslagern und Straßen voller Laster, Lafetten, Pferdefuhrwerken und Soldaten –, befand sich nur wenige Kilometer hinter der Frontlinie immer noch ein ländliches Idyll. Als Miranda jetzt mit Will in Richtung Rouen fuhr, konnte sie es selbst sehen. Hier war das Land noch unversehrt und schön, die Felder waren grün und fruchtbar. Auf den Wiesen weideten Kühe, und alte Leute bewirtschafteten liebevoll ihre
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